Gomei- Ehrwürdige Namen

In Japan und in China gibt es die Jahrhunderte alte Sitte, Gegenstände mit poetischen Namen zu versehen. Es können Häuser, Tempel, Teegeräte wie Teeschalen, einfache Teelöffel, die aus Bambus geschnitzt sind oder die Süßigkeiten sein, die man zum Tee reicht. Wenn diese Dinge mit den ehrwürdigen, poetischen Namen benannt sind, dann sind sie aus der Anonymität der alltäglichen Verbrauchsdinge herausgehoben. Viele der Namen sind unmittelbar aus der Beobachtung der Natur und der Jahreszeit entnommen. Hatsuharu, „erster Frühling“ ist die Zeit nach Neujahr. Die Sonne scheint hell und fast meint man, der Frühling sei schon gekommen. Aber dann kommt im Februar daikan, „große Kälte“. Im März bis April ist dann die Zeit des Hanafubuki, des Blütenschneesturms von fallenden Kirschblüten.

Gomei können auch aus der Mythologie, der Literatur oder aus den Volksbräuchen stammen oder entnommen sein.

Ich hatte schon über fünfzehn Jahre den Teeweg praktiziert, als ich das erste mal nach Kyoto kam. Mein erster Lehrer Yoshinori Kawasaki war zur Olympiade 1972 nach München gekommen. Der Großmeister der Urasenke Sōshitsu Sen XV hatte ein originales Teehaus gestiftet und Kawasaki Sensei als Lehrer mitgeschickt. Nun waren er und auch mein zweiter Lehrer Nakamura schon lange wieder nach Japan zurückgekehrt, als ich meine ersten Schritte in Japan wagte. Aber es gab ja die Ura- senke und das Midorikai, die Vereinigung der ausländischen Schüler, die für ein oder mehrere Jahre in Kyōto den Teeweg studieren konnten. Es gab dort viele Begegnungen, die mir unvergessen bleiben, die ich aber hier nicht alle aufzählen kann.

Bei den Übungen der Teezeremonie gab es jeden Tag für die Teeschüler eine andere Teesüßigkeit, die auch immer einen poetischen Namen, ein Gomei hatte. Aber es viel mir schwer, mir die vielen Namen zu merken. Immerhin sind die ‚ehrwürdigen Namen‘ als wesentlicher Bestandteil der Tee-Praxis so umfangreich, dass ein Handbuch mit knapp 800 Seiten erschienen ist, leider nur in japanischer Sprache. 

Es war ein warmer Maitag. Die Tage vorher hatte es heftig geregnet und die Berge rund um Kyōto waren in dichtem Nebel verschwunden. Die Luft war bleischwer drückend und schwül gewesen, sodass man kaum atmen konnte. Heute plötzlich war Die schwere, schwüle Luft verschwunden und das Mailicht strahlte. Endlich konnte man wieder frei atmen, ohne niedergedrückt zu werden.

Fast schien es, als ob die riesigen japanischen Zedern auf den Bergen wie mit einer spitzen Feder in die klare Luft gezeichnet waren. 

Ich hatte den Tee serviert und mein Gast fragte die obligatorische Frage nach dem Namen der Süßigkeit. Ganz spontan antwortete ich mit einem Hölderlinzitat: „Menschenfreundliches Mailicht!“

Das Wort stammt aus dem unvollendeten Gedicht ‚Gang aufs Land‘. Der Dichter und seine Gefährten haben sich trotz einer bleischweren schwülen Zeit aufgemacht zum Gang aufs Land, ins Offene. In Schwaben sagt man auch „Komm ins Offene“, wenn man zu einem Gang in die Natur, auf das Land einlädt. Aber das Offene ist auch das befreite Herz nach einer drückenden, bleischweren Zeit. 

Hölderlin will ins Offene, um oben auf dem Berg die Eröffnung eines Gasthauses zu feiern.

Zwar würde der Wirt keine japanischen Süßigkeiten servieren, aber doch das ‚Beste des Landes‘. Der Zimmermann würde auf dem Firstgiebel des neuen Hauses feierlich den traditionellen Spruch tun und den Segen Gottes für das Haus herbeirufen. Aber das ‚menschenfreundliche Mailicht‘, würde ein Übriges tun, ganz von selbst erklärt. Ohne jedes Wort:

…. schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings
Aufgegangen das Thal, wenn vom Neckar herab,
Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume
Zahllos, blühend weiß, wallend in wiegender Luft,
aber mit Wölkchen bedekt an Bergen herunter der Weinstok
Dämmert und wächst und erwarmt unter dem sonnigen Duft,
Schöner freilich muss es, werden wenn ….

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Besuch im Daitokuji

Es war ein warmer Oktobertag und wir hatten gerade das Teehaus Taian von Sen no Rikyū besichtigt.

Rikyūs Teehaus Taian 待庵 ist eines der ältesten und berühmtesten Teehäuser in Japan, bekannt für seinen radikalen, minimalistischen Stil des wabi, der Schlichtheit, der die Philosophie des Teemeisters Sen no Rikyū verkörpert. Es wurde wohl um 1586 errichtet und ist das älteste erhaltene Teehaus im Stil von Rikyū, das noch originalgetreu erhalten ist. Das Taian steht im Myōki-An-Tempel in der Nähe von Kyōto und wurde 1951 als Nationalschatz Japans anerkannt. Dieses Teehaus selbst kann nicht besucht werden, aber im Zuiho-In, einem Subtempel des Daitokuji in Kyōto wurde zur Feier des vierhundertsten Todestages von Sen no Rikyū eine Kopie errichtet. Auch diese Kopie ist nicht allgemein zugänglich, aber mit einer Sondergenehmigung kann dieses Teehaus besichtigt werden.

Taian: Blick auf die Deckenvertäfelung

Der winzige Raum mit einer Grundfläche von nur zwei Tatami – den Binsengrasmatten, mit denen traditionelle Räume in Japan ausgelegt sind – ist in ein geheimnisvolles Dunkel getaucht. Er hat gerade einmal eine Grundfläche von etwas mehr als drei Quadratmetern. Die Lehmwände waren mit dem Saft der Kakifrucht gestrichen, der schnell fermentiert und die Wände in einem tiefen und warmen Schwarz färbt. Die Ecken des Raumes und der Schmucknische, der Tokonoma, sind rund geputzt, sodass man in dem dunklen Raum kaum Grenzen sehen kann. So wirkt der winzige Raum nicht eng und bedrückend, sondern unendlich weit wie der schwarze Nachthimmel. Auf den Papierfenstern tanzen komplexe Schattenmustern der Bambusgitter, aus denen die Wände geflochten sind. An den Fensteröffnungen ist einfach der Putz weggelassen. So kann das Licht hindurch schimmern, aber dennoch bleibt der Raum in sich geschlossen. Aber trotz der Konzentration auf den Innenraum bleibt die Außenwelt nicht ausgesperrt. Sie kommt in der Weise des stillen Lichtes durch die Papierfenster hinein. Auch die Geräusche wie Wind und Regen oder das Krächzen der Krähen betonen noch die Stille im Inneren. So entsteht keinen Augenblick das Gefühl der Enge. Vielmehr weitet sich der winzige Raum in stiller Unendlichkeit. Nimmt man darin Platz, so spürt man sofort die gesammelte Konzentration und Stille, die der Raum ausstrahlt.

Rikyū hatte das Teehaus wohl für Toyotomi Hideyoshi, den militärischen Herrscher Japans errichtet. Rikyū, der die Teezeremonie und ihre Ästhetik radikal verändert hatte, wollte mit dem Taian eine Oase der Stille schaffen, einen Ort, an dem man zur Ruhe und zum inneren Frieden kommen kann. Das Teehaus war nicht nur ein Raum für Tee, sondern auch ein Rückzugsort aus der Hektik der Kriegszeiten, der den Respekt vor der Natur und die Vergänglichkeit aller Dinge feiern sollte.

Der Zuiho-In 水芳院 Tempel, auf dessen Grund die Kopie des Taian steht, ist ebenfalls ein Ort der besonderen Begegnung. Er wurde von dem Daimyo Ōtomo Sōrin 大友 宗麟, 1530–1587 aus dem südlichen Kyushū gegründet, der als einer der ersten Japaner zum Christentum übertrat. Als Christ nahm er den Namen Don Francisco an. Er war einer der ersten japanischen Herrscher, die sich für die neuen Ideen aus dem Westen öffneten und intensiven Handel und Austausch mit den spanischen Missionaren widmeten. 

Der Name des Tempels Suihō-in 水芳院 bedeutet etwa ‚Halle des duftenden Wassers‘. War damit das geweihte Wasser gemeint, mit dem der Daimyo getauft wurde? Auf jedenfalls hat es mit einer spirituellen Reinigung zu tun.
Die frühe Begegnung Japans mit dem Westen und dem Christentum endete unglücklich mit der Abschließung Japans von der Außenwelt. Die Spanier hatten zuerst Missionare geschickt, um dann Japan militärisch zu erobern und zu einer Kolonie zu machen. Es ist auch die Frage, ob Ōtomo Sōrin aus Überzeugung zum Christentum übertrat oder weil er als Christ Schießpulver und Musketen von den Spaniern bekam. 

g zum Zuihoin

Die Spanier erklärten auch, dass es im alten Europa Sitte ist, dass die gesamte Bevölkerung derselben Religion wie der Herrscher folgen muss. So sollten auch alle Untergebenen Don Francisco auf der südlichen Halbinsel Kyūshu zum Christentum konvertieren. Als Hideyoshi von diesen Vorgängen hörte, wollte er dem keinen Glauben schenken. Aber schließlich gab er ein Dekret heraus, dass jeder nach seiner eignen Überzeugung einer Religion angehören kann. Jede Religion, gleichgültig ob christlich oder buddhistisch, die von sich behauptete, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, sollte verboten werden. Ōtomo Sōrin wurde schließlich in seiner Heimat Kyūshū entmachtet und zog nach Kyōto, wo er sich zunächst auch dem Christentum verpflichtet fühlte.

Später wurde das Christentum in Japan verboten. Offenbar wurde in dieser Zeit eine Muttergottes Statue im Garten des Suiho-In Tempels vergraben. Bei der Neugestaltung des Gartens wurde sie aufgefunden und schließlich wieder an derselben Stelle vergraben.

Der Hauptgarten vor der Abthalle des Tempels wurde erst 1961 von Shigemori Mirei gestaltet. Er verband die traditionelle japanische Gartenkunst der trockenen Landschaften mit modernen Elementen. Sein Garten heißt Dokusa-Tei 独坐庭, etwa ‚allein – sitzen – Garten‘ nach dem Zenspruch dokusa daiju ho 独坐大呪峰 ‚allein sitzen auf dem Gipfel des Daiju_Berges‘. Der Daiju-Berg ist ein mythischer Berg im Zentrum der Welt. Mitten in den wogenden Wellen der Brandung steigt das Gebirge auf bis zum Gipfel des Daiju. Hier herrscht die Stille und Ruhe dessen, der zu seinem inneren Frieden gefunden hat und einfach nur allein und in Stille sitzt. 

Shigemori hat diesen Aufstieg auf den Gipfel des Daiju aus den schlagenden Wellen der Brandung mit traditionellen Mitteln gestaltet. Aber die dramatischen Wellen sind seine moderne Interpretation des Trockengartens. Zugleich sind die Felsen, die sich aufsteigend bis zum Gipfel erheben, so gesetzt, dass sich ein liegendes Kreuz ergibt, eine geheime Botschaft, dass der Gründer des Tempels ein Christ war. Hier im Garten treffen die traditionelle Gartengestaltung mit der modernen Kunst, der Zen-Buddhismus und das Christentum zusammen. 

Zugang zum Izusen

Nach dem Besuch des Suiho-In waren wir auf dem Weg in das Tempelrestaurant 泉仙 Izusen. Der Name bedeutet etwas ‚Quelle oder Brunnen der Unsterblichen‘, vielleicht übertragen ‚Quelle der Unsterblichkeit‘. Die Sen 仙 sind im chinesischen Daoismus die Menschen, die sich als Einsiedler in die Berge zurückzogen und durch ihre Übungen die Unsterblichkeit erlangten. Im Izusen gibt es die traditionelle Küche der Zenmönche aus rein veganen Produkten wie Pflanzen, Gemüsen, Tofu und Saitan, nicht nur für Einsiedler, sondern auch für Besucher des Tempels. In vielen kleinen Schüsseln werden die unterschiedlichsten Köstlichkeiten in einer wunderbaren Ästhetik serviert. Die Farben, die sechs Geschmäcker und die verschiedensten Texturen sprechen alle Sinne an. So wird man nicht nur körperlich satt. Auch alle sechs Sinne einschließlich des sechsten Sinnes, des Wissens werden gut genährt und satt. So wird der Hunger gestillt, der nach Buddhas Lehre die Quelle des Leidens ist.

Auf dem Weg zum Izusen meldete sich plötzlich ein alter Bekannter von der Urasenke Teeschule auf dem Handy. Er war gerade in Kyōto und würde morgen schon wieder unterwegs sein. Wir könnten uns im Daitokuji am Sanmon treffen. Das Sanmon 三門 Sanmon, wörtlich das Drei-Tor diente nur für den Tennō oder den Shōgun als Eingangstor zum Tempel. Alle anderen Besucher oder Bewohner des Tempels gehen außen am Tor vorbei. 

Die Tempel, die zum politisch durch das Shōgunat geförderten System der ‚fünf Berge‘ gehörten, haben alle ein Bergtor, ein San-Mon 山門. Wörtlich bedeutet 山 san „Berg“ und 門 mon „Tor“, also „Bergtor“. Aber der Daitokuji gehörte nicht zu diesen Tempeln des Gosan-Systems. Dort befasste man sich weniger mit Politik als mit der geistigen Entwicklung. Im Laufe der Zeit wurde der Daitokuji ein wichtiger Tempel für die Entwicklung des Teeweges. Damit er auch ein Sanmon hätte, stiftete Rikyū für das Haupttor zwei kleine Seitengebäude, die lediglich den steilen Treppenaufgang in das Obergeschoss schützen. Damit hatte der Tempel auch ein San-Mon, ein Drei-Tor, denn Berg und drei werden gleich ausgesprochen als San. Die drei Durchgänge des Tores haben die symbolische Bedeutung, dass man drei geistige Hindernisse durchschreiten muss, um zum vollkommenen Erwachen zu gelangen. Diese drei Hindernisse sind Gier 貪欲, Tonyoku, der Hass oder Zorn 瞋恚, Shin’i und Guchi 愚痴, etwa Nörgelei, Klagen, Ignoranz Dummheit und die Unfähigkeit, richtig und falsch zu unterscheiden. 

Im Obergeschoß der Tore wurden heilige Figuren und Malereien aufbewahrt, so etwa Statuen Buddhas und seiner Schüler. Dieses Stockwerk durfte niemals betreten werden. Es war Buddha und den himmlischen Wesen vorbehalten. Unter ihnen gingen nur die Herrscher hindurch. An der Decke des oberen Stockwerkes waren oft himmlische Wesen dargestellt, die in einem vogelartigen Körper mit menschlichem Kopf am Himmel fliegen. Diese Karyōbinga 迦陵頻伽 aus der indischen Mythologie singen mit wunderbarer Stimme die Lehre Buddhas oder spielen himmlische Musikinstrumente. Es gibt aber sogar auch in dieser himmlischen Sphäre Neid und Missgunst. Eines der Karyōbinga hat zwei Köpfe, aber nur einen Körper. Diese beiden Köpfe hassen sich bis aufs Blut. Glücklicherweise ist immer nur einer der beiden Köpfe wach, während der andere schläft. Eines Tages nahm der wache Kopf Gift zu sich, um den Anderen zu vergiften. Zu spät merkte er, dass beide ja nur einen gemeinsamen Körper hatten! Wie oft ahmen wir Menschen diese zweiköpfige Karyobinga nach! Aber niemand streitet besser, als zwei, die übertragen, eigentlich im selben Körper leben. 

Die Mönche des Daitokuji waren Rikyū so dankbar, dass sie eine Statue von ihm aufstellten, obwohl Rikyū das nicht wollte. Aber es würde ohnehin niemals jemand erfahren. Aber eines Tages trug man Hideyoshi zu, dass er unter den Füßen seines Untergebenen hindurchgegangen war. Vielleicht hat seine Wut auch dazu beigetragen, dass er Seppuku für Rikyū anordnete. Nach Rikyūs Tod wurde die geköpfte Figur im Kamofluss gefunden. Angeblich soll Hideyoshi nachträglich bedauert haben, dass er seinen geistigen Lehrer und -Teemeister, der ihm immer so nahe gestanden hatte, zum Tode verurteilt hatte. 

Rikyū ist zwar gewaltsam gestorben, aber sein Geist ist heute noch an jeder Ecke der Tempelanlage und weltweit im japanischen Teeweg lebendig. 

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Benkei – Treue bis in den Tod

Gerade habe ich einen alten Film auf Youtube über den legendären Kriegermönch Benkei gefunden. Benkei diente während der Genpei – Kriege in Japan dem Minamoto no Yoshitsune bis zu dessen Tod im Jahr 1189.

Die Genpei-Kriege veränderten die Geschichte Japans grundlegend. Nach dem Ende dieser Kreigszeit hatte der japanische Kaiser die Macht an den Shogun in Kamakura abtreten müssen. Die Zeit nach 1200 wurde ein wichtiger historischer Abschnitt, in dem viele der sogenannten „neuen Religionen“ entstanden, zu denen auch der Zen gehört.

Viele der Heldentaten Benkei’s sind in den Stücken des klassischen Noh-Theaters verarbeitet.
Einen großen Teil davon habe ich in meinem Buch
„Vor langer Zeit – Mukashi, mukashi“

nacherzählt und teilweise auch erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht.
Das Buch kann im Buchhandel, direkt im Verlagsshop oder auch bei mir direkt bestellt werden.
https://shop.tredition.com/booktitle/Vor_langer_Zeit_-_Mukashi_mukashi/W-1_94988

Yoshitsune war ein genialer Feldherr, der viele Schlachten gegen die verfeindete Sippe der Taira gewonnen hatte. Nach der Legende hat er seine Kriegskunst von den geheimnisvollen Tengu gelernt, die in den Bergen oberhalb der Kaiserstadt Kyoto hausen. Manchmal erscheinen sie wie langnasige Ungeheuer, manchmal nehmen sie auch die Gestalt von Krähen an. Sie beherrschen nicht nur die Kriegskunst, sondern sind auch in der Heilkunst sehr bewandert. Man kann sie heute noch in der Gestalt von Krähen oben in den Wäldern am heiligen Berg Hiesan erleben.

Offenbar Yoshitsune seinem Halbbruder Minamoto no Yoritomo misstrauisch beäugt. Seine Erfolge als Feldherr in den Genpei Kriegen machte ihn für seinen Bruder zu gefährlich und schließlich wurde er auf der Flucht zum Selbstmord gezwungen. Sein treuer Diener Benkei stand vor den Toren und verteidigte seinen Herrn. Er stab im Stehen von vielen Pfeilen durchbohrt, aber niemand wagte sich an ihm vorbei. Erst sehr spät erkannten seine Gegner, dass er schon längst gestorben war.

Der Film über Beinei und seinen Herrn Minamoto Yoshitsune wurde 1997 vom Regisseur Akira Inoue aufwändig inszeniert. Die meisten der Filmszenen sind Adaptionen der Noh- Theaterstücke. Die meisten der Szenen sind im Buch nachzulesen.
https://www.youtube.com/watch?v=QS7jYzrmryg&t=168s

Wer wenig Kenntnisse der japanischen Geschichte dieser bewegten Zeit hat, kann sich einen Youtube-Film mit ausführlichen Erläuterungen anschauen. Der Film bringt wirklich ungemein viel historisches Wissen und viele Details, die auch für die gesamte Entwicklung der späteren japanischen Kultur wichtig waren.
Ein Tipp: Bei Einstellungen die Wiedergabegeschwindigkeit verringern. Dann hat man mehr Zeit, die informativen Bilder zu sehen während man die Untertitel liest. Oder gleich auf Englisch anschauen. Wirklich sehenswert.
https://www.youtube.com/watch?v=-wGAtS7Hyg8&t=3527s


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Kalavinka – Hass ist tötlich

Gerade habe ich auf youtube ein Video entdeckt mit einem klassischen chinesischen Tanz. Dort tanzen Kalavinka. Das sind himmlische Wesen, die wie Vögel fliegen können, die den ganzen Tag tanzen und musizieren. Im Tanz sind sie so dargestellt, dass sie wie eine Kannon, ein Buddha des Mitgefühls mit tausend Armen erscheinen. Wenn sie auseinander treten, erkennt man erst, dass es nicht eine einzelne Gestalt ist, sondern dass da viele Kalavinka tanzen.

Aber sie sind, obwohl es himmlische Wesen sind, nicht immer so ganz einig. Es gibt eine Erzählung von einer Kalavinka, die sich wie siamesische Zwillinge einen Körper teilen. Sie habe zwei Köpfe und zwei Arm- und Beinpaare. Aber sie sind niemals gleichzeitig wach. Wenn der eine Kopf wach ist, muss der andere schlafen.

Sie hassen sich derart, dass der wache Kopf immer überlegt, wie er den gehassten Zwilling wieder loswerden könnte. Schließlich kommt einer der Köpfe auf die Idee, im wachen Zustand Gift zu trinken um den anderen zu vergiften. Tatsächlich stirbt der dann auch. Aber – oh weh, sie haben ja nur einen Körper. Es stirbt nicht nur der schlafende Teil, sondern auch der Wache, denn das Gift wirkt halt auf den gemeinsamen Körper. Und so sterben dann auch beide Kalavinka.

In vielen japanischen Tempeln sind diese Himmelswesen dargestellt. Auch im großen Eingangstor des Tofukuji Tempels im Süden der alten Kaiserstadt Kyoto sind sie als Deckengemälde dargestellt. Leider ist die Malerei normalerweise nicht zugänglich, denn die Malerei ist sehr empfindlich und muss geschützt werden. Aber ich hatte einmal das Glück, die Malereien besichtigen zu können, als das Tor gerade aufwändig restaurier worden war. Dort fliegen die beiden siamesischen Zwillinge, ein Kopf hängt schlafen herunter, das wache Gesicht ist vor Hass verzerrt.

Diese Kalavinka fliegen im westlichen Paradies des Amida Buddha. Dort gibt es keinen Hass und keinen Neid. Alle Wesen sind erlöst vom Leiden. Nur die Kalavinka nicht???? Ist das Paradies vielelicht auch vergiftet vom Hass?

Ich weiß nicht, ob die Menschen sich am Vorbild der sich hassenden Kalavinka orientieren oder ob die Himmelswesen die Menschen nachahmen. Aber vielleicht könnten beide aus der Geschichte lernen, dass wir keine Einzelwesen sind. Wie oft sind es gerade die Brüder, die eigentlich zusammengehören, die sich bis auf den Tod hassen. Mir fällt da gerade kein Beispiel dazu ein. Oder doch etwa? …. ?

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Trink Tee – Geh!

In unserem Teeraum in der Rhön hängt eine Schriftrolle mit dem Spruch Ki Sa Ko: Trink Tee –  Geh!

Der Spruch wird dem alten chinesischen Zenmeister Zhàozhōu zugeschrieben, den die Japaner Jōshū nennen. Jōshū lebte in der Zeit der Tang-Dynastie im 8. Jahrhundert. In seinen jungen Jahren wanderte er durch China und besuchte viele Zenmeister. Erst im Alter von 80 Jahren ließ er sich in einem halb verfallenen Tempel nieder und wirkte dort noch vierzig Jahre lang als Zenmeister.

Wenn ein Mönch auf seiner Wanderschaft in seinen Tempel kam, so fragte er: „Warst du schon einmal hier?“ Unabhängig davon, ob der Mönch die Frage bejahte oder verneinte, sagte der alte Meister: „Trink Tee, dann geh!“

Vermutlich wollte Jōshū nicht wissen, ob der Mönch schon einmal an genau diesem Tempel war. Seine Frage zielte darauf, ob sein Gegenüber überhaupt schon einmal ganz konkret im jeweiligen Augenblick gewesen ist. Wie oft sind wir an einem Ort, den wir nicht einmal wahrnehmen, weil wir mit den Gedanken ganz woanders sind. Es geht darum, vollkommen im Augenblick anzukommen. Wenn wir so angekommen sind, können wir uns ganz und gar dem Tee widmen und ihn mit voller Achtsamkeit genießen. Ist dieser Augenblick vorüber, so heißt es, loszulassen. 

Das gilt nicht nur für den Tee. Auch Goethes Faust sagt zum Versucher Mephistopheles: „Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehen!“ Faust weiß, dass er den Augenblick nicht festhalten kann, und er will es auch nicht tun. Wollte er den Augenblick festhalten, so würde er zu Grunde gehen. 

Jeder Augenblick des Lebens ist wie der Tee. Trink Tee- dann geh!
Aber das Los-lassen fällt oft so schwer. Nicht nur, wenn der Augenblick so schön ist. Auch wenn wir leiden und der Zustand, in dem wir uns gerade befinden nur noch Leiden oder Unwohlsein erzeugt, wollen wir festhalten. Die Angst vor dem Unbekannten und Neuen das auf uns zukommt, wenn wir loslassen, ist oft so groß, dass wir lieber weiter leiden. Den alten Zustand kennen wir, aber das Neue ist unbekannt und erzeugt oft Angst.

Der alte Jōshū hat zwar wohl den Augenblick gemeint, den wir gerade erleben. Aber es geht nicht nur um den Augenblick des Teetrinkens, sondern gerade auch um das Loslassen ganz allgemein. Vielleicht ist auch das Alter ein Loslassen vom Gewohnten. Jeden Augenblick werden wir älter und alte Verhaltensmuster müssen wir hinter uns lassen. So verstanden ist das Teetrinken ein Bild für das ganze Leben. Wenn es zu Ende geht, heißt es, zu gehen. Ganz ohne Bedauern. 

Falls die Überlieferung richtig ist, dann begann Jōshū mit seinem Wirken in einem Alter, in dem sich viele Menschen schon längst zur Ruhe gesetzt haben oder von Krankheiten geschwächt nur noch vor sich hin leben oder bereits längst schon in eine andere Welt hinüber gegangen sind. 

Gerade in der letzten Zeit haben sich eine Reihe von Menschen aus meinem Umfeld für immer verabschiedet, obwohl sie noch einige Jahre jünger waren als ich selbst. Ganz plötzlich und unerwartet hat sich Reinhard Knodt verabschiedet. Damit ist auch der Schackenhof Geschichte.

Unter anderem ist auch ein langjähriger Schüler gegangen, mit dem ich gemeinsam viele Projekte verwirklicht hatte. Er war einige Jahre jünger. Unter anderem hatten wir eine große und viel beachtete Ausstellung über Drachen in Japan und China aus seiner umfangreichen Sammlung gestaltet. Dazu hatte ich ein Buch geschrieben: „Heilige Drachen. Alte Welt, Indien und China“. Dabei war noch viel Material gesammelt worden. Aber es brauchte noch weitere zehn Jahre, bis ich rechtzeitig zu Weihnachten im letzten Jahr den zweiten Band fertig gestellt habe. Dort sind viele Geschichten über Drachen in Korea und Japan gesammelt. Unter anderem begegnen wird dort dem im Westen weitestgehend unbekannte Kegon Sutra, das heute in den koreanischen Zen-Tempeln oder im Tempel Todaiji in Nara, dem Tempel mit dem großen Buddha studiert wird. So romantisch der Text klingt, so modern scheint er zu sein. Eine Grundannahme des Kegon-Sutra oder wie es mit seinem anderen Namen heißt dem Blumengirlanden Sutra ist das Netz des Indra. Vor dem Palast des indischen Götterkönigs Indra ist ein Netz ausgespannt, wie ein Spinnennetz. Die Fäden des Netzes verbinden die zehntausend Dinge. Das bedeutet, dass alles mit allem verbunden ist. An jedem Knotenpunkt des Netzes sitzt ein Diamant, der das Licht der Sonne, des sonnenhaften Buddha reflektiert. Wird auch nur ein einziger dieser Diamanten bewegt, so hat das eine Auswirkung auf das gesamte Netz. Alles hängt mit allem zusammen. Ein Gedanke, den wir heute im ökologischen Denken mühsam und manchmal schmerzhaft lernen müssen. 

So entsteht ein großer Respekt vor der Natur. In Japan sind die Drachen eine Verkörperung der ursprünglichen Natur und der Lebenskraft. Sie leben in den waldreichen Bergen, die teilweise so heilig sind, dass sie auch heute noch nicht betreten werden dürfen.

Das Buch ist sehr persönlich geworden, denn alle die heiligen Orte in Korea und Japan, die im Buch besprochen werden, habe ich selbst besucht. So ist es voll von Erinnerungen an die großartigen Orte mit teilweise geradezu mystischer Atmosphäre. Leseprobe oder bestellen beim Verlag

Das Buch in der Hardcover Version kann auch direkt bei mir bestellt werden. Auf Wunsch schreibe ich auch eine Kalligraphie, z.B. das japanische Zeichen für Drache. 

Noch vor Weihnachten des letzten Jahres schien meine Gesundheit unerschütterlich. Das Buch war fertig geworden und ich hatte noch viele Pläne, als ich ein wenig kränkelte. Wir fuhren dann doch zum Krankenhaus in die Ambulanz. Aber der Arzt entschied, dass noch in der Nacht operiert werden musste. Gerade noch rechtzeitig. Ein Tag später wäre wohl zu spät gewesen. Aber es gibt eben noch viele Schalen Tee zu trinken. Noch ist es nicht die Zeit zu gehen. Merkwürdigerweise hatte ich in der ganzen Zeit im Krankenhaus oder der Reha niemals das Gefühl einer Verbitterung. Warum gerade ich und warum jetzt? JETZT war eben die Zeit für das das Krankenhaus. 

In mein Krankenzimmer leuchtete in der Nacht der Mond und ich schrieb kurz nach der Op – viel zu schwach zum Aufstehen – ein Haiku:

Hell leuchtet der Winter Mond.
Drin singt der Teekessel sein Lied.
Heimkehr in die Stille. Immer und immer.

Nun bin ich längst wieder zu Hause und habe am Benediktushof inzwischen wieder ein Seminar zum Teeweg gehalten. Die Tee-Schüler kommen zum Tee Unterricht oder zum Shakuhachi spielen. Und nun werde ich endlich das Buch über den japanischen Teeweg zu Ende schreiben, das schon viele Jahre als Projekt in meinem Kopf liegt. 

Draußen der Garten grünt und blüht und viel Arbeit wartet. Auch am Teeraum gibt es noch so einiges zum Basteln. Vermutlich wird der eh niemals fertig. Alles verändert sich, nichts bleibt gleich.

Carola unterstützt mich bei der Arbeit und sie führt jetzt die Teezeremonien für unsere Gäste durch. So ist gewährleistet, dass der Teeweg hier im alten Forsthaus weiter gelebt und gelehrt wird. Gäste oder neue Schüler sind jederzeit nach Voranmeldung willkommen.

Shakuhachi Unterricht gibt es wie früher entweder hier vor Ort oder auch online.

Ich hoffe, wir werden noch viele Schalen Tee miteinander teilen. Und wenn nicht, dann ist es eben Zeit zu gehen.


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