Urasenke Daisosho – Frieden durch eine Schale Tee

Anmerkung: Dieser Artikel aus dem Fujingaho, dem ältesten lifestyle Magazin Japans über den alten Großmeister der Urasenke Daisosho ist im August 2025 nach dem Tod von Hounsai Daishosho am 14. August 2025 im Alter von 102 Jahren erschienen.
Hier eine deutsche Übersetzung des Artikels.


Wir möchten unser tiefstes Beileid ausdrücken, nachdem wir vom Tod des Urasenke-Großmeisters Sen Genshitsu erfahren haben.

Seine Verdienste um die Vermittlung des Geistes der Teezeremonie bis in die Gegenwart und die Verbreitung des Geistes des „Wa“ (Harmonie) in der ganzen Welt sind unermesslich. Wir sind zutiefst dankbar für das Vermächtnis dieses großen Meisters, der sein Leben der Teezeremonie und der Harmonie widmete und sich weiterhin für den Wert des Friedens einsetzte.

Das Interview für diesen Artikel wurde Ende März dieses Jahres (2025) geführt. Dies waren die letzten Worte des Daisosho an unser Magazin. Wir sprechen unser herzliches Beileid aus.

14. August 2025 Fujingaho-Redaktion



In seiner Jugend war Sen Genshitsu bereit, als Kamikaze-Pilot zu sterben. Seitdem, im Alter von 102 Jahren, setzt er sich durch die Teezeremonie weiterhin für den internationalen Frieden ein und verkündet sein Motto „Frieden aus einer einzigen Schale“. In einem Interview mit dem Autor Masashi Ono erkundet er die wahre Natur des Krieges, die Menschenwürde und die Philosophie des „Wa“ (Harmonie).

Der Weg des Tees, der Weg der Harmonie

Text von Masatsugu Ono

Worauf richten seine Augen den Blick? Oder was hat er gesehen? Sein Blick, der sich mehr als jeder andere mit dem Universum jenseits der Teeschale auseinandergesetzt hat, scheint die Person vor ihm zu umarmen, während er in die Tiefen seines eigenen Inneren blickt.

Als ich mir zur Vorbereitung auf das Treffen Videos und andere Materialien ansah, war ich beeindruckt von seinem tiefen Blick. Und als ich ihn dann tatsächlich traf, war ich von Ehrfurcht erfüllt, denn sein Blick zog mich sofort in seinen Bann. Sen Genshitsu, der Großmeister der Urasenke-Schule, ist jemand, von dem jeder, der in diesem Jahr, dem 80. Jahrestag des Kriegsendes, über die Schrecken des Krieges und die Bedeutung des Friedens nachdenken möchte, unbedingt etwas hören möchte.

Da seit Kriegsende so viel Zeit vergangen ist, können immer weniger Menschen über ihre Erlebnisse sprechen. Ich wurde 1970 geboren, und als ich ein Kind war, gab es in meiner Heimatstadt, einem Fischerdorf im Süden von Oita, noch viele Kriegsveteranen. Das Dorf hat einen Friedhof, der als „Militärfriedhof“ bekannt ist. So viele Menschen wurden eingezogen und verloren ihr Leben, dass ein eigener Friedhof angelegt wurde. Auch der jüngere Bruder meines Großvaters liegt dort begraben. Mein Großvater selbst war Marineoffizier, aber ich habe von ihm, der im Alter von 79 Jahren starb, nie konkrete Geschichten über den Krieg gehört. Es scheint, dass nicht nur mein Großvater, sondern auch die Kriegsveteranen im Dorf nie von sich aus sprachen. Wenn man sie nicht fragte, öffneten sie sich nicht, und selbst wenn sie es taten, waren sie nie eloquent.

Foto von Masatomo Moriyama

In dieser Hinsicht ist der 102-jährige Sen Genshitsu ein besonderer Mensch. Sen hat bei zahlreichen Gelegenheiten in anschaulicher und klarer Sprache über seine Kriegserlebnisse als Mitglied der Spezialeinheit der Marine gesprochen (einer Gruppe von Kamikaze Selbstmordattentätern, die mit Bomben beladene Flugzeuge in feindliche Schiffe rammten). Darüber hinaus wurzelte sein langjähriges Engagement für die Förderung der Teezeremonie im In- und Ausland unter dem Slogan „Frieden aus einer einzigen Schale“ immer in seinem Wunsch nach Frieden. Ob es ihm gefällt oder nicht, Sen hat es sich immer zur Aufgabe gemacht, Geschichten über seine Kriegserlebnisse und über Frieden durch Tee zu erzählen. Auch dieses Mal ist keine Ausnahme. Und was noch schlimmer ist: Seine Zuhörer sind Menschen wie ich, die überhaupt keine Ahnung von der Art und Weise haben, wie Tee getrunken wird, obwohl dies in Sens Leben eine zentrale Rolle spielt.

Menschen, die in der Welt als „groß“ gelten, sind es oft gewohnt, dass andere ihnen zuhören. Manche halten es sogar für selbstverständlich, dass andere sie kennen. Sen Genshitsu wurde in eine angesehene Familie hineingeboren, deren Vorfahre Sen no Rikyu war, und war viele Jahre lang der 15. Leiter der Urasenke-Schule. Er hat die Kunst der Teezeremonie in der ganzen Welt verbreitet und mit Staatsoberhäuptern aus aller Welt zu tun gehabt. Doch in Sens Sprechweise und seinem Gesichtsausdruck erkenne ich nicht die geringste Spur von Arroganz oder Hochmut, die bei hochrangigen Menschen üblich sind.

Als ich seiner tiefen, sanften Stimme lauschte, durchdrungen und eingehüllt von Sens Blick, überkam mich ein seltsames Gefühl, als würde ich in den schwankenden Geist eines jungen Mannes namens Sen Masaoki versetzt, der, ob er wollte oder nicht, in den Krieg verwickelt worden war, obwohl ich mich in einem Raum befand, der schwach vom Morgenlicht erhellt wurde, das aus einem wunderschönen Garten kam, in dem das Grün feucht glänzte.

Der Zwischenfall auf der Marco-Polo-Brücke ereignete sich, als Sen 14 Jahre alt war, und der Pazifikkrieg begann, als er 17 war. Japan befand sich während Sens gesamter Jugend im Krieg. Das Land behandelte ihn nicht anders, nur weil er der Erbe einer angesehenen Teefamilie war. 1943 (Showa 18), als Sen 20 Jahre alt wurde, legte er die Wehrpflichtprüfung ab und bestand sie. Da er der Marine beitreten wollte, besuchte Sen vor seiner Einberufung eine Wasserflugzeug-Flugschule, um das Fliegen zu erlernen.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Urasenke
Dies ist ein Foto von Daisosho mit seiner Mutter, als er 20 Jahre alt war
und kurz davor stand, in den Krieg zu ziehen.

An dem Tag, an dem er in die Marine eintrat, verabschiedeten ihn sein Vater, Tantansai, seine Mutter und seine Geschwister im Teehaus Urasenke Kyoan in der Ogawa-dori in Kyoto.

Ich frage Sen-san, ob sein Teetraining nützlich war, eine Frage, die ihm sicherlich schon unzählige Male gestellt wurde. „Bei der Teezeremonie wird jede einzelne Bewegung mit ganzem Herzen ausgeführt und kein Detail übersehen – ich denke, es ist ähnlich wie beim Fliegen eines Flugzeugs“, antwortet er vorsichtig. Doch mir wird schnell klar, dass Sen-san nicht darüber sprechen wollte, als er vom Krieg sprach …

Im selben Dezember meldete sich Sen beim Marinekorps Maizuru. Er legte dort eine Prüfung ab, wurde als Reserveschüler in die Flugabteilung aufgenommen und dem Marinefliegerkorps Tsuchiura in Ibaraki zugeteilt. Anschließend wechselte er zum Marinefliegerkorps Tokushima, wo er 1944 (Showa 19) Fähnrich der Marine wurde. Die Kriegslage verschärfte sich weiter und 1945 (Showa 20) wurde Sen Mitglied der Spezialangriffseinheit Shiragiku. Während er auf seine Versetzung zum Luftwaffenstützpunkt Kanoya in Kagoshima wartete – demselben Stützpunkt, von dem aus viele junge Männer zu einer Reise aufbrachen, von der sie nie zurückkehrten –, wurde sein Flugbefehl plötzlich aufgehoben und er wurde zum Luftwaffenkorps Matsuyama beordert. Aber dann endete der Krieg.

Der Großmeister während seiner Zeit beim Tokushima Naval Air Corps. Eine Aufnahme von ihm vor seinem geliebten Flugzeug, der „Shiragiku“.

Als ich diese Geschichten hörte, fühlte ich immer wieder einen tiefen Stich ins Herz. Sens Blick und Worte zitterten vor stiller Wut über die Gewalt und Trauer um die Freunde, die so jung ihr Leben verloren hatten. 

Das Winterkuttertraining (Rudertraining) des Maizuru Marine Corps im Japanischen Meer war brutal. Seine Hände und Füße waren eiskalt, sein Hintern war wund und er schrie immer wieder: „Mama, hilf mir!“ Nachts konnte man Schluchzen durch die Dunkelheit der Kaserne hören. Auf die Frage, ob er geweint habe, antwortete er ehrlich: „Ja, das habe ich.“ Er wurde oft von seinen Vorgesetzten geschlagen. Er stellte die Szenen nach: „Klatsch, Klatsch.“ Nein, er machte keine Gesten. Sens Augen waren weit geöffnet, als ob er die Szene in diesem Moment miterlebt hätte. „Wer geschlagen wird, erinnert sich oft an die Person, die ihn geschlagen hat“, sagte Sen leise, aber in seinen Worten lag keine Spur von Groll. Vielmehr schien sein durchdringender Blick auf den Krieg als eine gewaltige, böse Maschine gerichtet zu sein, die täglich solche Gewalt entfesselt.

Für eine Nation, die Krieg führt, hat der Sieg Vorrang vor dem Leben Einzelner. Jeder Einzelne ist nur eine militärische Kraft. Ein austauschbares Werkzeug, eine bloße Nummer. „Sie sagten, wenn wir sterben würden, gäbe es genügend Ersatz. Aber gibt es da draußen überhaupt jemanden, der sterben will?“, fragt Sen. „Keiner von uns wollte sterben. Aber wir konnten uns nicht dazu durchringen zu sagen, dass wir nicht sterben wollten“, sagt Sen und bedeckt ihren Mund mit beiden Händen. Schmerz breitet sich in ihren großen Augen aus. Der Schmerz lässt nach, und ihre Augen werden wie ein ruhiges Meer, als sie sich an die Begegnungen mit ihren Kameraden bei der Luftwaffe erinnert. Plötzlich entspannt sich ihr Mund. „Es war eine Zeit, in der es keinerlei Unterhaltung gab. Wir redeten alle über Literatur. Sie fragen mich, ob ich ‚Krieg und Frieden‘ gelesen habe …“
Sie wurden zufällig in einer Kriegszeit geboren, waren aber allesamt bodenständige junge Menschen, die wie wir im gleichen Alter Freude an Literatur, Musik und Sport fanden.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Urasenke
Während seiner Zeit beim Tokushima Air Corps wurde er mit seinen Kameraden gesehen, darunter Nishimura Akira (ganz rechts), der später Schauspieler wurde und in dem Historiendrama „Mito Komon“ an Popularität gewann.

Sen wurde in eine teeliebende Familie hineingeboren und trug auch nach seinem Eintritt in die Armee stets eine Teedose bei sich. Zwischen dem strengen Training der Spezialeinheit hielt er manchmal einfache Teezeremonien im Kreis mit seinen Kameraden ab. Nachdem er den von Sen zubereiteten Tee getrunken hatte, sagte Hatabu, ein Absolvent der Universität Kyoto: „Sen, wenn ich lebend zurückkomme, lass mich bitte in einem richtigen Teehaus Tee trinken“, und in diesem Moment wurde Sen klar, dass er sterben würde.
In diesem Moment stand einer seiner Kameraden auf und rief: „Okaa-saaaan!“ – „Mutter!“ Plötzlich wurde Sen klar, dass auch er „Okaa-saaaan!“ – „Mutter!“  in Richtung seiner Heimatstadt Kyoto rief. Tränen strömten über seine Wangen. Alle begannen zu weinen und zu rufen, jeder in Richtung seiner Heimatstadt: „Okaa-saaaan!“ – „Mutter!“

Foto mit freundlicher Genehmigung von Urasenke
Daisosho hält eine Teezeremonie im Freien auf dem Marinestützpunkt Tokushima ab. Er bereitet den Tee in einer tragbaren Teebox zu und serviert ihn. Die Snacks sind rationierte Yokan. „Es war eine entspannte Zeit“, sagt er.

In jedem Wort, das Sen spricht, spüren wir seine tiefe Liebe zu seiner Mutter. Als er nach dem Krieg nach Kyoto zurückkehrte und Sen am Eingang erschien, rief sein jüngster Bruder voller Freude: „Er lebt! Ich bin so froh!“ Später erzählt der jüngere Bruder seinem älteren Bruder heimlich, dass seine Mutter, während Sen im Krieg war, lange Zeit keinen Tee getrunken und für die Sicherheit ihres Sohnes gebetet hatte.

Wie sehr seine Mutter an ihren Sohn dachte, der in den Krieg gezogen war! Die Familie Sen war in Kyoto wohlbekannt. Sens Auszug in den Krieg wurde in den Zeitungen berichtet. Der Familienname Sen wurde benutzt, um das nationale Ansehen zu stärken. Die Ideologie des Krieges bestand darin, niemals zu zögern, sein Leben für sein Land zu opfern. Obwohl sie wollte, dass ihr Sohn sicher nach Hause zurückkehrte, konnte sie kein einziges Wort darüber aussprechen, was sie dachte. Sie wurde von der Angst und Sorge gequält, ihren geliebten Sohn zu verlieren, aber sie konnte nicht zulassen, dass jemand in ihrer Umgebung sie bei diesem Verhalten sah. Vielleicht konnte Sens Mutter es nicht länger ertragen und schrieb einen Brief an die Einheit.

Sen las den Brief nie, doch der Vorgesetzte, der ihn erhielt, teilte ihr später seinen Inhalt mit. Der Brief drückt den tiefempfundenen Wunsch der Mutter aus, anstelle ihres Sohnes in den Krieg zu ziehen, seinen Platz einzunehmen, und der Vorgesetzte sagte Sen, er sei tief bewegt.

Wie war die Szene, als er nach zwei Jahren wieder mit seiner Mutter vereint war? Als seine Mutter aus dem Hinterzimmer kam und die Stimme ihres jüngeren Bruders hörte, der sich über die Rückkehr ihres Bruders freute, brach sie vor Schreck zusammen. Dann stand sie auf und, als wolle sie bestätigen, dass das, was sie sah, real war, schlug sie ihren Sohn mehrere Male, bevor sie ihn fest umarmte.

In diesem Moment dachte der junge Mann bei sich: Das ist es, was er sich immer gewünscht hat – die Wärme seiner Mutter so zu spüren, bevor er stirbt.

„Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen“, sagt Sen. „Du warst so froh, wieder zu Hause zu sein, nicht wahr?“, wollte ich fragen, aber ich hielt mich zurück. Es war keine Freude, die aus Sens beredten Augen strömte. „Alle …“, begann Sen und rief die Namen ihrer Freunde auf. „Sie sind alle tot … Sie sind alle tot … Ich bin sicher, sie wollten alle lebend zurückkommen, damit ihre Mutter sie in den Arm nehmen kann, so wie meine Mutter es für mich getan hat. Wenn ich daran denke …“ Sen presst vor Schmerz die Stimme hervor, ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Ich konnte die Stimmen meiner Freunde in meinen Ohren hören. Sie riefen mir zu: ‚Sen … Sen …‘ Ich konnte kein Auge zutun …“

Der Kern der Teezeremonie besteht darin, den anderen als gleichwertig anzuerkennen.


Foto von Masatomo Moriyama

Als ich Konichi-An besuchte und mit Sen ins Gespräch kam, war ich sofort überrascht. Sen hatte recherchiert, mit wem er sprach. Er wusste, dass ich französische Literatur studierte, und erzählte mir freudig, dass seine verstorbene Frau französische Literatur geliebt und Französisch studiert hatte. Sen selbst erwähnte meine Heimatstadt Saeki in der Präfektur Oita und erzählte mir, dass er geplant hatte, mit dem Saeki Air Corps der Marine zu fliegen, das damals dort stationiert war. Sich für jemanden wie ihn zu interessieren, ihn kennenzulernen, Gemeinsamkeiten zu finden und ein Gespräch zu genießen, mag selbstverständlich erscheinen, ist aber in Wirklichkeit gar nicht so einfach. Das gilt insbesondere für jemanden, der so international bekannt und extrem beschäftigt ist wie Sen.

In diesem Artikel bezeichne ich Sen Genshitsu als „Sen-san“. Manche mögen das respektlos finden. Nachdem ich jedoch Sen Genshitsus Haltung, alle gleich zu behandeln, angesprochen hatte, fand ich es ziemlich unhöflich, wenn jemand wie ich, der keine Verbindung zur Welt des Tees hat, mit stolzem Gesichtsausdruck über Sen-san als „Großmeister“ schreiben würde.

Wenn ich an die intensive Stunde mit Sen zurückdenke, bereue ich es heute. Was für eine dumme Frage: War das, was Sie in der Armee über Tee gelernt haben, nützlich? Es war, als hätte er den Tee gebeten, ihm im Krieg zu helfen. Nein, ich wollte einfach nur wissen, ob die Denk- und Verhaltensweisen, die er sich in der Welt des Tees angeeignet hatte, ihm halfen, in einem rauen Umfeld wie dem Militär durchzuhalten. Aber jeder hat doch etwas Wichtiges, das ihm in schwierigen Zeiten Kraft gibt. Für Sen war es nur natürlich, dass es Tee war.

Als ich Sens Worten lauschte, wurde mir klar, dass der Geist des Tees und der des Krieges völlig gegensätzlich sind. Tatsächlich war Sen no Rikyu sowohl Teemeister als auch Krieger. Anscheinend hatte sich sein Vater am Tag vor Sens Abreise zum Maizuru-Korps mit ihm zusammengesetzt und ihm das Wakizashi (Kurzschwert) „Awataguchi Yoshimitsu“ gezeigt, mit dem Rikyu Selbstmord begangen hatte. Auf den ersten Blick scheinen Tee und Kampfkunst vereinbar zu sein. Doch Sen und seine Kameraden in der Spezialeinheit tranken keinen Tee, um sich für den Kampf zu inspirieren. Das Teetrinken distanzierte sie, wenn auch nur für einen Moment, von der Gewalt des Krieges und erfüllte sie mit warmer Liebe für ihre Mütter, Väter, Geschwister, Frauen und Kinder und ihre Heimatstädte. Es erinnerte sie auch daran, wie kostbar das Leben ist.

Foto von Masatomo Moriyama

„Der Kern des Teegeistes ist ‚dozo – bitte‘ – auf Deutsch ‚Nach Ihnen‘“, sagt Sen-san. Es bedeutet in erster Linie, den anderen zu respektieren. Genau diese Haltung verkörpert der 102-jährige Sen Genshitsu, der vor mir steht. Sein Blick ist weder nach unten noch auf die Person gerichtet, die er im Spiegelbild sieht, sondern einfach geradeaus. Er sagt: Du bist wichtig. Jeder würde sich freuen, so behandelt zu werden.

Ich weiß nichts über Tee. Doch als ich von Sens großen Augen empfangen und umarmt wurde, kam mir ein Gedanke. Für Sen besteht die Essenz des Teetrinkens darin, den Menschen vor einem als gleichwertig anzuerkennen und ihm einen Platz in seinem Herzen zu geben, das durch Tee Frieden gefunden hat. Vielleicht ist dies die einzige Möglichkeit, sich Frieden vorzustellen.

Im September 2023 besuchte Daisosho New York und führte feierlich die Friedensteezeremonie der Vereinten Nationen durch. Vor etwa 100 Teilnehmern, darunter ständige Vertreter verschiedener Länder und UN-Beamte, bereitete Daisosho feierlich eine Schale Tee zu und bot sie als Dank-Gebet für den Frieden an.


Masatsugu Ono wurde 1970 in der Präfektur Oita geboren. Er ist Romanautor und Kenner der französischen Literatur. Nach seinem Doktoratsstudium an der Graduate School of Arts and Sciences der Universität Tokio promovierte er an der Universität Paris VIII in Literaturwissenschaften. 2002 gewann er den Mishima-Preis für „ Ein Schiff auf einer geschäftigen Bucht “ und 2015 den Akutagawa-Preis für „ Ein Gebet vor neun Jahren “.

Sen Genshitsu: Geboren 1923 in der Präfektur Kyoto. 1949 erhielt er seine Ausbildung bei Meister Goto Zuigan, dem Abt des Daitokuji-Tempels. 1964 wurde er der 15. Leiter der Urasenke-Schule und nahm den Namen Soshitsu an. 1997 wurde ihm der Kulturorden verliehen. 2002 übergab er die Leitung der Schule an seinen ältesten Sohn Sen Muneshi und änderte seinen Namen in Genshitsu. Er ist UNESCO-Sonderbotschafter und Japan-UN-Sonderbotschafter.

Fotografie von Masatomo Moriyama. Bearbeitung und Text von Naomi Yoshioka (Redaktion Fujigaho).

Aus der August-Ausgabe 2025 von Fujingaho

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Gomei- Ehrwürdige Namen

In Japan und in China gibt es die Jahrhunderte alte Sitte, Gegenstände mit poetischen Namen zu versehen. Es können Häuser, Tempel, Teegeräte wie Teeschalen, einfache Teelöffel, die aus Bambus geschnitzt sind oder die Süßigkeiten sein, die man zum Tee reicht. Wenn diese Dinge mit den ehrwürdigen, poetischen Namen benannt sind, dann sind sie aus der Anonymität der alltäglichen Verbrauchsdinge herausgehoben. Viele der Namen sind unmittelbar aus der Beobachtung der Natur und der Jahreszeit entnommen. Hatsuharu, „erster Frühling“ ist die Zeit nach Neujahr. Die Sonne scheint hell und fast meint man, der Frühling sei schon gekommen. Aber dann kommt im Februar daikan, „große Kälte“. Im März bis April ist dann die Zeit des Hanafubuki, des Blütenschneesturms von fallenden Kirschblüten.

Gomei können auch aus der Mythologie, der Literatur oder aus den Volksbräuchen stammen oder entnommen sein.

Ich hatte schon über fünfzehn Jahre den Teeweg praktiziert, als ich das erste mal nach Kyoto kam. Mein erster Lehrer Yoshinori Kawasaki war zur Olympiade 1972 nach München gekommen. Der Großmeister der Urasenke Sōshitsu Sen XV hatte ein originales Teehaus gestiftet und Kawasaki Sensei als Lehrer mitgeschickt. Nun waren er und auch mein zweiter Lehrer Nakamura schon lange wieder nach Japan zurückgekehrt, als ich meine ersten Schritte in Japan wagte. Aber es gab ja die Ura- senke und das Midorikai, die Vereinigung der ausländischen Schüler, die für ein oder mehrere Jahre in Kyōto den Teeweg studieren konnten. Es gab dort viele Begegnungen, die mir unvergessen bleiben, die ich aber hier nicht alle aufzählen kann.

Bei den Übungen der Teezeremonie gab es jeden Tag für die Teeschüler eine andere Teesüßigkeit, die auch immer einen poetischen Namen, ein Gomei hatte. Aber es viel mir schwer, mir die vielen Namen zu merken. Immerhin sind die ‚ehrwürdigen Namen‘ als wesentlicher Bestandteil der Tee-Praxis so umfangreich, dass ein Handbuch mit knapp 800 Seiten erschienen ist, leider nur in japanischer Sprache. 

Es war ein warmer Maitag. Die Tage vorher hatte es heftig geregnet und die Berge rund um Kyōto waren in dichtem Nebel verschwunden. Die Luft war bleischwer drückend und schwül gewesen, sodass man kaum atmen konnte. Heute plötzlich war Die schwere, schwüle Luft verschwunden und das Mailicht strahlte. Endlich konnte man wieder frei atmen, ohne niedergedrückt zu werden.

Fast schien es, als ob die riesigen japanischen Zedern auf den Bergen wie mit einer spitzen Feder in die klare Luft gezeichnet waren. 

Ich hatte den Tee serviert und mein Gast fragte die obligatorische Frage nach dem Namen der Süßigkeit. Ganz spontan antwortete ich mit einem Hölderlinzitat: „Menschenfreundliches Mailicht!“

Das Wort stammt aus dem unvollendeten Gedicht ‚Gang aufs Land‘. Der Dichter und seine Gefährten haben sich trotz einer bleischweren schwülen Zeit aufgemacht zum Gang aufs Land, ins Offene. In Schwaben sagt man auch „Komm ins Offene“, wenn man zu einem Gang in die Natur, auf das Land einlädt. Aber das Offene ist auch das befreite Herz nach einer drückenden, bleischweren Zeit. 

Hölderlin will ins Offene, um oben auf dem Berg die Eröffnung eines Gasthauses zu feiern.

Zwar würde der Wirt keine japanischen Süßigkeiten servieren, aber doch das ‚Beste des Landes‘. Der Zimmermann würde auf dem Firstgiebel des neuen Hauses feierlich den traditionellen Spruch tun und den Segen Gottes für das Haus herbeirufen. Aber das ‚menschenfreundliche Mailicht‘, würde ein Übriges tun, ganz von selbst erklärt. Ohne jedes Wort:

…. schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings
Aufgegangen das Thal, wenn vom Neckar herab,
Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume
Zahllos, blühend weiß, wallend in wiegender Luft,
aber mit Wölkchen bedekt an Bergen herunter der Weinstok
Dämmert und wächst und erwarmt unter dem sonnigen Duft,
Schöner freilich muss es, werden wenn ….

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Besuch im Daitokuji

Es war ein warmer Oktobertag und wir hatten gerade das Teehaus Taian von Sen no Rikyū besichtigt.

Rikyūs Teehaus Taian 待庵 ist eines der ältesten und berühmtesten Teehäuser in Japan, bekannt für seinen radikalen, minimalistischen Stil des wabi, der Schlichtheit, der die Philosophie des Teemeisters Sen no Rikyū verkörpert. Es wurde wohl um 1586 errichtet und ist das älteste erhaltene Teehaus im Stil von Rikyū, das noch originalgetreu erhalten ist. Das Taian steht im Myōki-An-Tempel in der Nähe von Kyōto und wurde 1951 als Nationalschatz Japans anerkannt. Dieses Teehaus selbst kann nicht besucht werden, aber im Zuiho-In, einem Subtempel des Daitokuji in Kyōto wurde zur Feier des vierhundertsten Todestages von Sen no Rikyū eine Kopie errichtet. Auch diese Kopie ist nicht allgemein zugänglich, aber mit einer Sondergenehmigung kann dieses Teehaus besichtigt werden.

Taian: Blick auf die Deckenvertäfelung

Der winzige Raum mit einer Grundfläche von nur zwei Tatami – den Binsengrasmatten, mit denen traditionelle Räume in Japan ausgelegt sind – ist in ein geheimnisvolles Dunkel getaucht. Er hat gerade einmal eine Grundfläche von etwas mehr als drei Quadratmetern. Die Lehmwände waren mit dem Saft der Kakifrucht gestrichen, der schnell fermentiert und die Wände in einem tiefen und warmen Schwarz färbt. Die Ecken des Raumes und der Schmucknische, der Tokonoma, sind rund geputzt, sodass man in dem dunklen Raum kaum Grenzen sehen kann. So wirkt der winzige Raum nicht eng und bedrückend, sondern unendlich weit wie der schwarze Nachthimmel. Auf den Papierfenstern tanzen komplexe Schattenmustern der Bambusgitter, aus denen die Wände geflochten sind. An den Fensteröffnungen ist einfach der Putz weggelassen. So kann das Licht hindurch schimmern, aber dennoch bleibt der Raum in sich geschlossen. Aber trotz der Konzentration auf den Innenraum bleibt die Außenwelt nicht ausgesperrt. Sie kommt in der Weise des stillen Lichtes durch die Papierfenster hinein. Auch die Geräusche wie Wind und Regen oder das Krächzen der Krähen betonen noch die Stille im Inneren. So entsteht keinen Augenblick das Gefühl der Enge. Vielmehr weitet sich der winzige Raum in stiller Unendlichkeit. Nimmt man darin Platz, so spürt man sofort die gesammelte Konzentration und Stille, die der Raum ausstrahlt.

Rikyū hatte das Teehaus wohl für Toyotomi Hideyoshi, den militärischen Herrscher Japans errichtet. Rikyū, der die Teezeremonie und ihre Ästhetik radikal verändert hatte, wollte mit dem Taian eine Oase der Stille schaffen, einen Ort, an dem man zur Ruhe und zum inneren Frieden kommen kann. Das Teehaus war nicht nur ein Raum für Tee, sondern auch ein Rückzugsort aus der Hektik der Kriegszeiten, der den Respekt vor der Natur und die Vergänglichkeit aller Dinge feiern sollte.

Der Zuiho-In 水芳院 Tempel, auf dessen Grund die Kopie des Taian steht, ist ebenfalls ein Ort der besonderen Begegnung. Er wurde von dem Daimyo Ōtomo Sōrin 大友 宗麟, 1530–1587 aus dem südlichen Kyushū gegründet, der als einer der ersten Japaner zum Christentum übertrat. Als Christ nahm er den Namen Don Francisco an. Er war einer der ersten japanischen Herrscher, die sich für die neuen Ideen aus dem Westen öffneten und intensiven Handel und Austausch mit den spanischen Missionaren widmeten. 

Der Name des Tempels Suihō-in 水芳院 bedeutet etwa ‚Halle des duftenden Wassers‘. War damit das geweihte Wasser gemeint, mit dem der Daimyo getauft wurde? Auf jedenfalls hat es mit einer spirituellen Reinigung zu tun.
Die frühe Begegnung Japans mit dem Westen und dem Christentum endete unglücklich mit der Abschließung Japans von der Außenwelt. Die Spanier hatten zuerst Missionare geschickt, um dann Japan militärisch zu erobern und zu einer Kolonie zu machen. Es ist auch die Frage, ob Ōtomo Sōrin aus Überzeugung zum Christentum übertrat oder weil er als Christ Schießpulver und Musketen von den Spaniern bekam. 

g zum Zuihoin

Die Spanier erklärten auch, dass es im alten Europa Sitte ist, dass die gesamte Bevölkerung derselben Religion wie der Herrscher folgen muss. So sollten auch alle Untergebenen Don Francisco auf der südlichen Halbinsel Kyūshu zum Christentum konvertieren. Als Hideyoshi von diesen Vorgängen hörte, wollte er dem keinen Glauben schenken. Aber schließlich gab er ein Dekret heraus, dass jeder nach seiner eignen Überzeugung einer Religion angehören kann. Jede Religion, gleichgültig ob christlich oder buddhistisch, die von sich behauptete, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, sollte verboten werden. Ōtomo Sōrin wurde schließlich in seiner Heimat Kyūshū entmachtet und zog nach Kyōto, wo er sich zunächst auch dem Christentum verpflichtet fühlte.

Später wurde das Christentum in Japan verboten. Offenbar wurde in dieser Zeit eine Muttergottes Statue im Garten des Suiho-In Tempels vergraben. Bei der Neugestaltung des Gartens wurde sie aufgefunden und schließlich wieder an derselben Stelle vergraben.

Der Hauptgarten vor der Abthalle des Tempels wurde erst 1961 von Shigemori Mirei gestaltet. Er verband die traditionelle japanische Gartenkunst der trockenen Landschaften mit modernen Elementen. Sein Garten heißt Dokusa-Tei 独坐庭, etwa ‚allein – sitzen – Garten‘ nach dem Zenspruch dokusa daiju ho 独坐大呪峰 ‚allein sitzen auf dem Gipfel des Daiju_Berges‘. Der Daiju-Berg ist ein mythischer Berg im Zentrum der Welt. Mitten in den wogenden Wellen der Brandung steigt das Gebirge auf bis zum Gipfel des Daiju. Hier herrscht die Stille und Ruhe dessen, der zu seinem inneren Frieden gefunden hat und einfach nur allein und in Stille sitzt. 

Shigemori hat diesen Aufstieg auf den Gipfel des Daiju aus den schlagenden Wellen der Brandung mit traditionellen Mitteln gestaltet. Aber die dramatischen Wellen sind seine moderne Interpretation des Trockengartens. Zugleich sind die Felsen, die sich aufsteigend bis zum Gipfel erheben, so gesetzt, dass sich ein liegendes Kreuz ergibt, eine geheime Botschaft, dass der Gründer des Tempels ein Christ war. Hier im Garten treffen die traditionelle Gartengestaltung mit der modernen Kunst, der Zen-Buddhismus und das Christentum zusammen. 

Zugang zum Izusen

Nach dem Besuch des Suiho-In waren wir auf dem Weg in das Tempelrestaurant 泉仙 Izusen. Der Name bedeutet etwas ‚Quelle oder Brunnen der Unsterblichen‘, vielleicht übertragen ‚Quelle der Unsterblichkeit‘. Die Sen 仙 sind im chinesischen Daoismus die Menschen, die sich als Einsiedler in die Berge zurückzogen und durch ihre Übungen die Unsterblichkeit erlangten. Im Izusen gibt es die traditionelle Küche der Zenmönche aus rein veganen Produkten wie Pflanzen, Gemüsen, Tofu und Saitan, nicht nur für Einsiedler, sondern auch für Besucher des Tempels. In vielen kleinen Schüsseln werden die unterschiedlichsten Köstlichkeiten in einer wunderbaren Ästhetik serviert. Die Farben, die sechs Geschmäcker und die verschiedensten Texturen sprechen alle Sinne an. So wird man nicht nur körperlich satt. Auch alle sechs Sinne einschließlich des sechsten Sinnes, des Wissens werden gut genährt und satt. So wird der Hunger gestillt, der nach Buddhas Lehre die Quelle des Leidens ist.

Auf dem Weg zum Izusen meldete sich plötzlich ein alter Bekannter von der Urasenke Teeschule auf dem Handy. Er war gerade in Kyōto und würde morgen schon wieder unterwegs sein. Wir könnten uns im Daitokuji am Sanmon treffen. Das Sanmon 三門 Sanmon, wörtlich das Drei-Tor diente nur für den Tennō oder den Shōgun als Eingangstor zum Tempel. Alle anderen Besucher oder Bewohner des Tempels gehen außen am Tor vorbei. 

Die Tempel, die zum politisch durch das Shōgunat geförderten System der ‚fünf Berge‘ gehörten, haben alle ein Bergtor, ein San-Mon 山門. Wörtlich bedeutet 山 san „Berg“ und 門 mon „Tor“, also „Bergtor“. Aber der Daitokuji gehörte nicht zu diesen Tempeln des Gosan-Systems. Dort befasste man sich weniger mit Politik als mit der geistigen Entwicklung. Im Laufe der Zeit wurde der Daitokuji ein wichtiger Tempel für die Entwicklung des Teeweges. Damit er auch ein Sanmon hätte, stiftete Rikyū für das Haupttor zwei kleine Seitengebäude, die lediglich den steilen Treppenaufgang in das Obergeschoss schützen. Damit hatte der Tempel auch ein San-Mon, ein Drei-Tor, denn Berg und drei werden gleich ausgesprochen als San. Die drei Durchgänge des Tores haben die symbolische Bedeutung, dass man drei geistige Hindernisse durchschreiten muss, um zum vollkommenen Erwachen zu gelangen. Diese drei Hindernisse sind Gier 貪欲, Tonyoku, der Hass oder Zorn 瞋恚, Shin’i und Guchi 愚痴, etwa Nörgelei, Klagen, Ignoranz Dummheit und die Unfähigkeit, richtig und falsch zu unterscheiden. 

Im Obergeschoß der Tore wurden heilige Figuren und Malereien aufbewahrt, so etwa Statuen Buddhas und seiner Schüler. Dieses Stockwerk durfte niemals betreten werden. Es war Buddha und den himmlischen Wesen vorbehalten. Unter ihnen gingen nur die Herrscher hindurch. An der Decke des oberen Stockwerkes waren oft himmlische Wesen dargestellt, die in einem vogelartigen Körper mit menschlichem Kopf am Himmel fliegen. Diese Karyōbinga 迦陵頻伽 aus der indischen Mythologie singen mit wunderbarer Stimme die Lehre Buddhas oder spielen himmlische Musikinstrumente. Es gibt aber sogar auch in dieser himmlischen Sphäre Neid und Missgunst. Eines der Karyōbinga hat zwei Köpfe, aber nur einen Körper. Diese beiden Köpfe hassen sich bis aufs Blut. Glücklicherweise ist immer nur einer der beiden Köpfe wach, während der andere schläft. Eines Tages nahm der wache Kopf Gift zu sich, um den Anderen zu vergiften. Zu spät merkte er, dass beide ja nur einen gemeinsamen Körper hatten! Wie oft ahmen wir Menschen diese zweiköpfige Karyobinga nach! Aber niemand streitet besser, als zwei, die übertragen, eigentlich im selben Körper leben. 

Die Mönche des Daitokuji waren Rikyū so dankbar, dass sie eine Statue von ihm aufstellten, obwohl Rikyū das nicht wollte. Aber es würde ohnehin niemals jemand erfahren. Aber eines Tages trug man Hideyoshi zu, dass er unter den Füßen seines Untergebenen hindurchgegangen war. Vielleicht hat seine Wut auch dazu beigetragen, dass er Seppuku für Rikyū anordnete. Nach Rikyūs Tod wurde die geköpfte Figur im Kamofluss gefunden. Angeblich soll Hideyoshi nachträglich bedauert haben, dass er seinen geistigen Lehrer und -Teemeister, der ihm immer so nahe gestanden hatte, zum Tode verurteilt hatte. 

Rikyū ist zwar gewaltsam gestorben, aber sein Geist ist heute noch an jeder Ecke der Tempelanlage und weltweit im japanischen Teeweg lebendig. 

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Benkei – Treue bis in den Tod

Gerade habe ich einen alten Film auf Youtube über den legendären Kriegermönch Benkei gefunden. Benkei diente während der Genpei – Kriege in Japan dem Minamoto no Yoshitsune bis zu dessen Tod im Jahr 1189.

Die Genpei-Kriege veränderten die Geschichte Japans grundlegend. Nach dem Ende dieser Kreigszeit hatte der japanische Kaiser die Macht an den Shogun in Kamakura abtreten müssen. Die Zeit nach 1200 wurde ein wichtiger historischer Abschnitt, in dem viele der sogenannten „neuen Religionen“ entstanden, zu denen auch der Zen gehört.

Viele der Heldentaten Benkei’s sind in den Stücken des klassischen Noh-Theaters verarbeitet.
Einen großen Teil davon habe ich in meinem Buch
„Vor langer Zeit – Mukashi, mukashi“

nacherzählt und teilweise auch erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht.
Das Buch kann im Buchhandel, direkt im Verlagsshop oder auch bei mir direkt bestellt werden.
https://shop.tredition.com/booktitle/Vor_langer_Zeit_-_Mukashi_mukashi/W-1_94988

Yoshitsune war ein genialer Feldherr, der viele Schlachten gegen die verfeindete Sippe der Taira gewonnen hatte. Nach der Legende hat er seine Kriegskunst von den geheimnisvollen Tengu gelernt, die in den Bergen oberhalb der Kaiserstadt Kyoto hausen. Manchmal erscheinen sie wie langnasige Ungeheuer, manchmal nehmen sie auch die Gestalt von Krähen an. Sie beherrschen nicht nur die Kriegskunst, sondern sind auch in der Heilkunst sehr bewandert. Man kann sie heute noch in der Gestalt von Krähen oben in den Wäldern am heiligen Berg Hiesan erleben.

Offenbar Yoshitsune seinem Halbbruder Minamoto no Yoritomo misstrauisch beäugt. Seine Erfolge als Feldherr in den Genpei Kriegen machte ihn für seinen Bruder zu gefährlich und schließlich wurde er auf der Flucht zum Selbstmord gezwungen. Sein treuer Diener Benkei stand vor den Toren und verteidigte seinen Herrn. Er stab im Stehen von vielen Pfeilen durchbohrt, aber niemand wagte sich an ihm vorbei. Erst sehr spät erkannten seine Gegner, dass er schon längst gestorben war.

Der Film über Beinei und seinen Herrn Minamoto Yoshitsune wurde 1997 vom Regisseur Akira Inoue aufwändig inszeniert. Die meisten der Filmszenen sind Adaptionen der Noh- Theaterstücke. Die meisten der Szenen sind im Buch nachzulesen.
https://www.youtube.com/watch?v=QS7jYzrmryg&t=168s

Wer wenig Kenntnisse der japanischen Geschichte dieser bewegten Zeit hat, kann sich einen Youtube-Film mit ausführlichen Erläuterungen anschauen. Der Film bringt wirklich ungemein viel historisches Wissen und viele Details, die auch für die gesamte Entwicklung der späteren japanischen Kultur wichtig waren.
Ein Tipp: Bei Einstellungen die Wiedergabegeschwindigkeit verringern. Dann hat man mehr Zeit, die informativen Bilder zu sehen während man die Untertitel liest. Oder gleich auf Englisch anschauen. Wirklich sehenswert.
https://www.youtube.com/watch?v=-wGAtS7Hyg8&t=3527s


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Kalavinka – Hass ist tötlich

Gerade habe ich auf youtube ein Video entdeckt mit einem klassischen chinesischen Tanz. Dort tanzen Kalavinka. Das sind himmlische Wesen, die wie Vögel fliegen können, die den ganzen Tag tanzen und musizieren. Im Tanz sind sie so dargestellt, dass sie wie eine Kannon, ein Buddha des Mitgefühls mit tausend Armen erscheinen. Wenn sie auseinander treten, erkennt man erst, dass es nicht eine einzelne Gestalt ist, sondern dass da viele Kalavinka tanzen.

Aber sie sind, obwohl es himmlische Wesen sind, nicht immer so ganz einig. Es gibt eine Erzählung von einer Kalavinka, die sich wie siamesische Zwillinge einen Körper teilen. Sie habe zwei Köpfe und zwei Arm- und Beinpaare. Aber sie sind niemals gleichzeitig wach. Wenn der eine Kopf wach ist, muss der andere schlafen.

Sie hassen sich derart, dass der wache Kopf immer überlegt, wie er den gehassten Zwilling wieder loswerden könnte. Schließlich kommt einer der Köpfe auf die Idee, im wachen Zustand Gift zu trinken um den anderen zu vergiften. Tatsächlich stirbt der dann auch. Aber – oh weh, sie haben ja nur einen Körper. Es stirbt nicht nur der schlafende Teil, sondern auch der Wache, denn das Gift wirkt halt auf den gemeinsamen Körper. Und so sterben dann auch beide Kalavinka.

In vielen japanischen Tempeln sind diese Himmelswesen dargestellt. Auch im großen Eingangstor des Tofukuji Tempels im Süden der alten Kaiserstadt Kyoto sind sie als Deckengemälde dargestellt. Leider ist die Malerei normalerweise nicht zugänglich, denn die Malerei ist sehr empfindlich und muss geschützt werden. Aber ich hatte einmal das Glück, die Malereien besichtigen zu können, als das Tor gerade aufwändig restaurier worden war. Dort fliegen die beiden siamesischen Zwillinge, ein Kopf hängt schlafen herunter, das wache Gesicht ist vor Hass verzerrt.

Diese Kalavinka fliegen im westlichen Paradies des Amida Buddha. Dort gibt es keinen Hass und keinen Neid. Alle Wesen sind erlöst vom Leiden. Nur die Kalavinka nicht???? Ist das Paradies vielelicht auch vergiftet vom Hass?

Ich weiß nicht, ob die Menschen sich am Vorbild der sich hassenden Kalavinka orientieren oder ob die Himmelswesen die Menschen nachahmen. Aber vielleicht könnten beide aus der Geschichte lernen, dass wir keine Einzelwesen sind. Wie oft sind es gerade die Brüder, die eigentlich zusammengehören, die sich bis auf den Tod hassen. Mir fällt da gerade kein Beispiel dazu ein. Oder doch etwa? …. ?

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