Ein einfacher Chemiker

Vor langer Zeit, als ich noch im Max Planck Institut forschte, hatte ich ein Experiment aufgebaut, mit dem ich Messmethoden für einen Plasmastrahl erarbeiten wollte. Unkontrollierbar traten immer wieder ganz unverständliche Phänomene auf,. Die Physiker Kollegen strömten herbei, um die merkwürdigen Effekte zu sehen. Aber die  waren nicht reproduzierbar. Manche meiner Kollegen meinte: „Dafür bekommst du sicher einmal den Nobelpreis.“

Eines Tages war ein alter Chemiker zu Besuch, der sich meinen experimentalen Aufbau vorführen ließ. Ich erklärte ihm die Struktur meines Experimentes und hoffte auf einen Tipp für die unerklärlichen Phänomene. Aber er meinte nur: „Junger Mann, ich verstehe das nicht. Ich bin nur ein einfacher Chemiker!“ Dieser alte Herr war Otto Hahn, der als Erster die Atomspaltung in einem einfachen Experiment nachgewiesen hatte. Aber er hatte damals nicht verstanden, was er damit ausgelöst hatte: Die gesamte Entwicklung der Nukleartechnik der Atomspaltung. Die Anwendungen reichen nicht nur von der friedlichen Nutzung der Atomenergie sondern auch bis hin zur Atombombe. Otto Hahn war damals bei unserer Begegnung ein sympathischer alter Herr. Er hätte niemals die fürchterlichen Anwendungen seiner Entdeckung gebilligt. „Ich bin nur ein einfacher Chemiker!“ Was er nicht gesagt hat: „Mit der ganzen schrecklichen Entwicklung habe ich nichts zu tun und ich würde sie auch nicht gut heißen!“

Das Institut, in dem ich damals arbeitete, war aus dem Institut von Werner Heisenberg hervorgegangen.  Aber ich habe Heisenberg nur noch erlebt als einen alten Herrn, der beim Ausparken fast seine Ehefrau überrollt hätte, weil er nicht mehr so gut rückwärts schauen konnte. Und mit Carl Friedrich von Weizsäcker habe ich nur noch über Meditation diskutiert. „Bis zum Ende meines Lebens würde ich gerne noch verstehen, was denn eigentlich der Gegenstand unserer physikalischen Forschung ist!“

Für mein Experiment habe ich niemals den Nobelpreis bekommen. Nach langer Forschung erkannte ich den Grund für die unerklärbaren Phänomene im Plasma. Sie traten nur auf, wenn ein Mechaniker der Firma Linde anwesend war. Bei schönem Wetter öffnete er die Tür der abgeschirmten Laborhalle. Und dann wirkte mein Plasmastrahl wie eine Antenne, die den nahegelegenen Mittelwellensender des Bayrischen Rundfunks empfing. Dafür bekommt man keinen Nobelpreis. Man konnte damit ja nicht einmal Radio hören! Es gab lediglich im Oszillographen wunderschöne Bilder von Schwingungen. 

Eigentlich schade! Besser den BR empfangen als Nuklearspaltung erforschen! DAS wäre doch einen Nobelpreis wert!

Als wir vor ein paar Jahren in einem Zentempel in China zu Besuch waren, wurde ich sehr besorgt gefragt, ob ich als Physiker, der noch Otto Hahn,  Heisenberg und Weizsäcker gekannt hatte  und als Zenmensch sagen könnte, ob der Zen eine Rettung aus den technologischen Problemen unserer Zeit wüsste. Meine Antwort: „Ich bin nur ein einfacher Teelehrer. Ich weiß es nicht!“

Aber hoffen kann man schon?!

Und einen Versuch ist es allemal wert!

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