In lieblicher Bläue

Wilhelm Waiblinger hatte Hölderlin in seinem Tübinger Turm oft besucht und war mit ihm die Weinberge gegangen. Dort saß der Dichter oft stundenlang, schaute in die Landschaft und sagte nur: „Schön Herr, schön“!

Aber ganz so wahnsinnig war er wohl gar nicht, er hielt sich nur die unliebsamen Besucher vom Leibe. Waiblinger schreibt in seinem Roman über den wahnsinnigen Bildhauer Phaeton, den er nach dem Vorbild Hölderlins gestaltet hatte:

Alles, was er bekommen konnte von Papier, überschrieb er in dieser Zeit. Hier sind einige Blätter aus seinen Papieren, die zugleich einen tiefen Blick in den schrecklichen Zustand seines verwirrten Gemütes geben. In der Urschrift sind sie abgeteilt wie Verse nach pindarischer Weise.

Ja, in der Urschrift! Aber Waiblinger das „Genie“ hat halt die Verse nicht verstanden. Er dachte ja auch, Hölderlin habe gesagt: „Ich verstehe die Kamalaten-Sprache nicht!“ Das war genau zu der Zeit, als im griechischen Kalamata die Freiheitskämpfe der Griechen ihren Höhepunkt hatten. Hölderlin konnte zwar perfekt Griechisch, aber eben nur Altgriechisch. Die Sprache der Griechen aus Kalamata, das Neugriechich verstand er nicht. Naja, das ist wohl so wie mit den Schattenmorellen aus dem Chateau de Moreille. Was man nicht versteht, verdreht man.

Vielleicht – nein sicher – hat Waiblinger ja auch so manches von den Niederschriften Hölderlins nicht verstanden. Den Text „In lieblicher Bläue“ hat er vermutlich dem Dichter entwendet, der alles Papier, dessen er habhaft werden konnte, voll schrieb. Wie dem auch sei, hier der Text, wie ihn Waiblinger in seinem Roman wiedergibt – ohne Berücksichtigung der Versform in pindarischer Weise. Hoffe wir, dass Waibinger wirklich so phantasielos war, wie es sein „Roman“ zeigt. Sogar die Form des Werkes ist eine Kopie der hölderlinschen Dichtkunst. Dann hat er vermutlich, weil er es nicht besser wußte, den Text einfach abgeschrieben. Aber wissen kann man das nicht, weil das Original aus Hölderlins Hand verschwunden ist.

In lieblicher Bläue blühet mit dem metallnen Dache der Kirchturm. Den umschwebt Geschrei der Schwalben; den umgibt die rührendste Bläue. Die Sonne geht hoch darüber und färbt das Blech im Winde; aber oben stille kräht die Fahne. Wenn einer unter der Glocke dann herabgeht, jene Treppen; ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann des Menschen. Die Fenster, daraus die Glocken tönen, sind wie Tore an Schönheit. Nämlich, weil noch der Natur nach sind die Tore, haben diese die Ähnlichkeit von Bäumen des Waldes. Reinheit aber ist auch Schönheit. Innen aus Verschiedenem entsteht ein ernster Geist. So sehr einfältig aber die Bilder, so sehr heilig sind die, daß man wirklich oft fürchtet, die zu beschreiben. Die Himmlischen aber, die immer gut sind, alles zumal wie Reiche, haben diese Tugend und Freude. Der Mensch darf das nachahmen. Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: So will ich auch sein? Ja. So lange die  Freundlichkeit noch am Herzen, die reine, dauert, mißt nicht unglücklich der Mensch sich mit der Gottheit. Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? Dieses glaub‘ ich eher. Des Menschen Maß ist’s. Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnt der Mensch auf dieser Erde. Doch reiner ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen, wenn ich so sagen könnte, als der Mensch; der heißt ein Bild der Gottheit.

Gibt es auf Erden ein Maß? Es gibt keines. Nämlich es hemmen den Donnergang nie die Welten des Schöpfers. Auch eine Blume ist schön, weil sie blüht unter der Sonne. Es findet das Auge oft im Leben Wesen, die viel schöner noch zu nennen wären als die Blumen. O, ich weiß das wohl! Denn zu bluten an Gestalt und Herz und ganz nicht mehr zu sein, gefällt das Gott? Die Seele aber, wie ich glaube, muß rein bleiben; sonst reicht an das Mächtige auf Fittichen der Adler mit lobendem Gesange und der Stimme so vieler Vögel. Es ist die Wesenheit, die Gestalt ist’s! Du schönes Bächlein, du scheinst rührend, indem du rollst so klar wie das Auge der Gottheit durch die Milchstraße. Ich kenne dich wohl; aber Tränen quillen aus dem Auge. Ein heiteres Leben seh ich in den Gestalten mich umblühen der Schöpfung, weil ich es nicht unbillig vergleiche den einsamen Tauben auf dem Kirchhofe. Das Lachen aber scheint mich zu grämen der Menschen; nämlich ich hab ein Herz. Möcht ich ein Komet sein? Ich glaube. Denn sie haben die Schnelligkeit der Vögel; sie blühen am Feuer und sind wie Kinder an Reinheit. Größeres zu wünschen, kann nicht des Menschen Natur sich vermessen. Der Tugend Heiterkeit verdient auch gelobt zu werden vom ernsten Geiste, der zwischen den drei Säulen wehet des Gartens. Eine schöne Jungfrau muß das Haupt umkränzen mit Myrtenblumen, weil sie einfach ist ihrem Wesen nach und ihrem Gefühl. Myrten aber gibt es in Griechenland.

Wenn einer in den Spiegel sieht, ein Mann, und sieht darin sein Bild wie abgemalt; es gleicht dem Manne. Augen hat des Menschen Bild; hingegen Licht der Mond. Der König Ödipus hat ein Auge zu viel vielleicht. Die Leiden dieses Mannes, sie scheinen unbeschreiblich, unaussprechlich, unausdrücklich. Wenn das Schauspiel ein solches darstellt, kommt’s daher. Wie ist mir’s aber, gedenk ich Deiner jetzt? Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich dahin, das sich wie Asien ausdehnt. Natürlich dieses Leiden, das hat Ödipus. Natürlich ist’s darum. Hat auch Herkules gelitten? Wohl. Die Dioskuren in ihrer Freundschaft, haben die nicht Leiden auch getragen? Nämlich wie Herkules mit Gott zu streiten, das ist Leiden! Und die Unsterblichkeit im Neide dieses Lebens, diese zu teilen, ist ein Leiden auch. Doch das ist auch ein Leiden, wenn mit Sonnenflecken bedeckt ein Mensch, mit manchen Flecken ganz überdeckt zu sein! Das tut die schöne Sonne; nämlich die zieht alles auf. Die Jünglinge führt die Bahn sie mit Reizen ihrer Strahlen wie mit Rosen. Die Leiden scheinen so, die Ödipus getragen, als wie ein armer Mann klagt, daß ihm etwas fehle. Sohn Laios, armer Fremdling in Griechenland! Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.

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