Neid, Eifersucht und Mißgunst: Begleiter auf dem WEG?

In dieser früher Geschichte des Zen erschreckt die Kraft und Gefährlichkeit von Neid und Mißgunst, die im Falle von Huineng sogar lebensbedrohende Ausmaße annehmen. Nur die Fürsorge seines Meisters, der ihn von Anfang an vor seinen Mit-Brüdern verbirgt, schützt ihn gerade eben, aber letztlich bleibt ihm vor dem Neid der anderen nur die Flucht.
Jeder will der Beste, der Erste unter den Schülern, der Ichiban Deshi sein, jeder strebt nach Macht über die anderen und will ihnen seinen Willen aufdrängen. Oft bleibt dem Besten nur noch die Flucht, so wie Huineng seinen Weg der Reform und der Gründung einer großen Schule nur möglich ist, indem er bei Nacht und Nebel aus der Gemeinschaft flieht.

Auch dem rätselhaften Einsiedler vom "Kalten Berg" Hanshan war diesen Regungen begegnet, vielleicht hatten sie ihn sogar in die Berge, weit abseits der Menschen getrieben:

Der Ärger (und Neid) ist eine Flamme des Herzens,
das leicht ein ganzes Kloster (*) niederbrennt,
Du willst dem Bodhisattva-Weg folgen?
Versöhnlichkeit bewahrt dein wahres Herz!

(*) Kloster, wörtlich gongde ling: Hain von Tugend und Verdienst. Ein Hain von Tugend und Verdienst ist jede Gemeinschaft von Menschen, die sich um die Verwirklichung eines WEGES müht, damit nicht nur ein Kloster!

Auch Ikkyû hatte wegen Streitigkeiten den Daitôkuji verlassen. Er kehrte erst auf Weisung des Tennô dorthin zurück, um den völlig heruntergewirtschafteten Tempel wieder aufzubauen. Er widmete seinen Schüler folgendes Gedicht:

Meinen Schülern
Die Harmonie in meinem Kloster
Ist gestört durch Zwistigkeiten.
Am Brunnengrund
Kämpft jeder Frosch
Um sein Zipfelchen Ansehen -
Tag und Nacht
Füllen Buchstaben den Sinn,
Streit um Nuancen.
Wie gut er selbst doch sei -
Schlecht sind die anderen -
Darüber lärmt der Mensch
Zeitlebens.

Man fragt sich besorgt, ob diese negativen Emotionen etwa gar immer Begleiter auf dem Weg sein sollten! Genügt es nicht, wenn wir uns im alltäglichen Leben von diesen (menschlichsten ?) Regungen leiten lassen?
Eines Tages habe ich beobachtet, wie zwei kleine Kinder, Bruder und Schwester, von diesem Neid beherrscht wurden. Sie hatten an den Osterfeiertagen soviel Schokoladeneier gegessen, daß ihnen schon ganz übel war. Meine große Sorge war, daß sich die kleine Schwester sicher gleich übergeben würde. Da nahm sich der Bruder etwas nachdenklich und sehr zögerlich noch ein Ei. Sofort und ohne einen Augenblick zu zögern, riß die kleine Schwester ihm das Ei aus der Hand, und ehe man sich's versah, hatte sie es verschlungen! Die unmittelbare Reaktion: "Auch haben!" Die unmittelbare und sehr vitale Reaktion auf die Wahrnehmung, daß der andere etwas hat, was ich nicht habe ist Neid, Mißgunst und Gier, selbst haben zu wollen. Diese Reaktion ist unabhängig davon, ob mir das Gewollte überhaupt bekommt, ob es gut für mich ist, dann auch, ob es gut für die anderen oder gar noch gut für die Gemeinschaft ist.
In dem Augenblick, wo herauskommt, daß Huineng etwas hat, was die anderen nicht haben, vielleicht etwa gar Satori, muß er um sein Leben fürchten!

Sind etwa Menschen, die einen WEG gehen noch schlimmer als die alltäglichen Menschen?
Ja und nein. Zunächst einmal ist der Neid etwas natürliches. Er ist unmittelbar notwendig, daß der Einzelne sich in einem Gruppenverband durchsetzen oder gar überleben kann. Schließlich können Neid und Mißgunst sogar zum Antrieb werden, besser zu sein als die anderen. Im richtigen Maße kann dies sogar dazu führen, daß sich eine Gruppe gegenseitig anspornt, immer besser zu werden. Verliert dieses Empfinden ihre rechten Grenzen, wird jede Gruppe gesprengt.
Im Alltag sind wir gezwungen, unseren täglichen Geschäften nachzugehen. Nicht, daß dies ohne Neid und Mißgunst abgehen würde. Aber Im Alltag lassen wir im allgemeinen unseren Gefühlen keinen freien Lauf. Wir sind im Gegenteil so sehr kontrolliert, daß wir die Gefühle möglichst nicht zulassen, vielleicht sogar meinen, überhaupt nicht von Gefühlen gelenkt zu werden. Wir glauben allen Ernstes, unsere Entscheidungen seien rein rational und nach nüchternen Überlegungen gefällt worden. Aber nicht einmal ein Wissenschaftler wird auf seinen Weg der Forschung von reiner Rationalität geleitet. Selbst Einstein WOLLTE nicht, daß es im Universum ein Zentrum gibt. Das war ihm in seinem innersten Empfinden zuwider. Darum forschte er unermüdlich bis an sein Lebensende, z.T. wider besseres Wissen an seiner mathematischen Theorie der Relativität.

Wenn wir uns auf einen WEG einlassen, werden wir, ob wir es wollen oder nicht, mit Gefühlen und Empfindungen konfrontiert, die wir im allgemeinen nicht einmal kennen, weil wir sie nicht wahrhaben wollen, ja weil wir sie gar nicht zulassen wollen. Auf dem WEG aber können und sollen sie sogar frei werden. Nur, wenn alles Positive, genauso aber auch alles Negative wirklich bewußt wird, kann es letztlich geklärt werden. Verwundert es dann noch, daß wir auf dem WEG immer wieder unbekannten und erschreckenden Empfindungen begegnen? Sie wollen, sollen und müssen aufgearbeitet werden!

Gengensai, der Vater des jetzigen Großmeisters Hôunsai hat folgende Worte für alle, die den Teeweg gehen wollen hinterlassen:

Alle, die dem Teeweg folgen wollen, mögen sich hüten vor Eifersucht und Neid.
Sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, andere zu beneiden oder zu verführen - dies ist unverzeihlich. In dem Maße, in dem ihr Euch täglich in den Teeweg vertieft, werdet ihr mit Glück belohnt werden. Je mehr ihr zu anderen aufschaut, um so klarer wird eure eigene Stellung im Verhältnis zu ihnen werden.
Wann immer etwas unglückliches geschieht, versuchen die Menschen, sich selbst in möglichst gutem Licht erscheinen zu lassen. Aber wenn ihr an das demütige Herz des Gastgebers im Teeraum denkt, dann wird diese andauernde Gier nach Macht als das gesehen, was sie ist, denn der Gastgeber kennt den geistigen Geschmack des Tees.
  Ihr müßt wissen, was ihr wißt; und wissen, was ihr nicht wißt, denn nur dann werdet ihr die Grenzen eurer Stärke deutlich sehen. Nutzt die Gelegenheiten, spirituelle Kraft zu erlangen, wann immer sie sich bieten. Gebt euch eurem Lernen und eurer Übung hin. Im Leben gibt es viele, die Wissen vortäuschen und andere in die Irre führen - keine Handlung kann verwerflicher sein als diese. Der Weg schließt niemanden aus. Er ist offen für alle, und diejenigen, die sich auf den Pfad machen, brauchen notwendig die Hilfe derer, die den Weg vorher beschritten haben."


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