Dao De Jing Nr 6: Der Geist des TalesLeben und Tod
Nicht - TodDie wichtigste Aussage, die vom Tal-Geist gemacht wird, ist 不死 bu si - nicht Tod. Vom Text her kann nicht entschieden werden, ob Si 死 als Substantiv oder Verb zu lesen ist. Ist die Rede vom "nicht sterben" oder "nicht Tod"?![]() Tod und Sterben ist das Urproblem des Menschen, der an seiner Sterblichkeit leidet und die Unsterblichkeit erreichen möchte. Schon im sumerischen Gilgamesch - Epos aus dem 12. Jhd. v. Chr. ist die Suche nach der Unsterblichkeit das Grundproblem. Als Gilgameschs Gefährte Enkidu stirbt, macht sich Gilgamesch auf in die Unterwelt, um ihn zurückzuholen. Dort spricht er mit seinem Vorfahren Utnapischtim, der mit seiner Gemahlin als einziger Mensch die Sintflut in seiner Arche überlebt hatte. Er erklärt sich bereit, Gilgamesch zu belehren, wen dieser sieben Tage und sieben Nächste zuhört ohne einzuschlafen. Aber Gilgamesch schläft schon in der ersten Nacht ein. Er kann nicht einmal dem Schlaf, dem Bruder des Todes widerstehen. Dennoch schenkt ihm Utnapischtim die Blume der Unsterblichkeit, die er unversehrt nach Hause bringen soll. Aber Gilgamesch schläft auf dem Heimweg in der Hitze der Wüste völlig übermüdet an einem Brunnen ein und eine Schlange frisst die Blume der Unsterblichkeit. So sieht Gilgamesch ein, dass die Unsterblichkeit unmöglich für den Menschen zu erlangen ist. Aber fortan verwandelt er sich von einem strengen und grausamen König zu einem weisen und menschlichen Herrscher. Die Nymphe Kalypso, die am Ursprungsort wohnt, bietet Odysseus an, ihn unsterblich zu machen. In der Vorstellung der Griechen gab es durchaus die Möglichkeit für die Sterblichen, unsterblich zu werden. In der ganz frühen, historisch nicht mehr greifbaren Zeiten gab es offenbar Bestrebungen, die Unsterblichkeit zu erreichen. Möglicherweise sind dies noch Anklänge von "schamanistischen" Praktiken. Nicht nur in der frühen Zeit der Griechen strebten die Menschen nach Unsterblichkeit. Auch in der Spätantike gab es einen ausgeprägten Heroen - Kult, in dem Gestorbene als Unsterbliche verehrt wurde. Auch Alexander der Große wurde nach seinem Tode ähnlich wie der mythische Herakles als unsterblicher Heros verehrt. Aber das ganze klassische Griechentum hindurch gibt es eine Fülle von Geschichten, die vor der Hybris warnen, unsterblich werden zu wollen. Tantalos etwa wollte gemeinsam mit den Göttern die Speise der Unsterblichkeit, die Am-brosia genießen. Zeus konnte ihm seinen Wunsch nicht abschlagen, aber er hängte an der Tafel der Götter ein gewaltiges Schwert an einen dünnen Faden über dem Haupt des Tantalos auf, der nun nicht mehr wagte, seine Hand nach dieser Speise der Unsterblichkeit auszustrecken. So lehnt denn auch Odysseus das Angebot der Kalypso ab. Ihn plagt unstillbares Heimweh und
ihm wurden die Augen nicht mehr trocken von Tränen; das süße Leben zerrann ihm, Im Daoismus gibt es durchaus zwei unterschiedliche Tendenzen. Viel der daoistischen Adepten strebten nach Unsterblichkeit oder mindestens einem langen Leben. Aber gilt dies auch für Laotse und das Daodejing? Im Zhuangzi findet sich eine ähnliche Auffassung vom Sterben und dem Tod. Im 6. Kapitel heißt es:
古之真人
不知說生,不知惡死;其出不訢,其入不距;翛然而往,翛然而來而已矣 "Wenn man, o Teurer, hier diesen großen Baum an der Wurzel anschneidet, so trieft er, weil er lebt; wenn man ihn in der Mitte anschneidet, so trieft er, weil er lebt; wenn man ihn an der Spitze anschneidet, so trieft er, weil er lebt; so steht er, durchdrungen von dem lebendigen Selbst, strotzend und freudevoll. |