Shishi-mai –der Löwentanz

Überall in Japan windet sich zu bestimmten Zeiten des Jahres ein wilder Zug durch die Strassen der Orte. Ein maskierter „Löwen“ rast durch die Straßen, wird aber immer wieder von einem Löwenführer- und Bändiger zum stehen bleiben gezwungen. Der Zug wird von Trommeln und schrillen Flöten begleitet.
Shishikopf im Shintoschrein
Shishi - Kopf
aufbewahrt im Shintoschrein
Der Shishikopf wird geschnitzt

Der „Löwe“ - Shishi zeigt ein merkwürdiges Aussehen. Ein Tänzer trägt einen gewaltigen aus Holz geschnitzten Kopf. Aus den Nasenlöchern wachsen zottelige Haare, die von Sake triefen, der von Zeit zu Zeit als Gabe in das aufgerissene Maul des Shishi geschüttet wird. Immer wieder schlagen die Kinnladen mit einem furchterregenden Knall direkt über den Köpfen der umstehenden Menschen zusammen.

Shishimae am Münchner Teehaus Der Körper des Shishi wird durch ein langes Tuch gebildet, das am Kopf befestigt ist. Unter diesem Tuch können sich bis zu 20 Männer aufhalten. Alle Tänzer gemeinsam tanzen das sich wild windende Tier, das wie eine gewaltige Schlange teilweise durch die Straßen stürmt, teilweise aber auch sich windend auf der Stelle stehen bleibt. Der Löwenführer hindert den Shishi am zu schnellen Voraneilen. Manchmal kommt es zwischen dem Führen und dem Shishi zu heftigen Kämpfen. Wenn der Shishi müde wird und sich weigert, weiterzueilen, ist es die Aufgabe des Löwenführers, ihn wieder aufzurichten und das sich heftig sträubende Tier zum Weitergehen zu zwingen.

Shishi mit Löwenführer (München, Teehaus) Das, was zunächst furchterregend aussieht, hat aber keineswegs etwas Erschreckendes. Vielmehr Tanz der Shishi durch die Stadt und wird geradezu in viele Häuser gezwungen, weil er Schutz und Segen bringt. Die Hauptaufgabe des Bändigers ist es deshalb auch nicht, den Löwen zu stoppen, damit er kein Unheil bringt. Im Gegenteil sorgt er dafür, daß das wilde Tier nicht zu schnell vorwärts rennen, damit sein Segen überall ausreichend wirken kann. Wird das Ungeheure müde, muß es weitergezwungen werden, damit sein Segen alle Häuser des Bezirkes erreichen kann.

Der Löwe tanzt vor allem in Zeiten, die eng mit dem Regen verbunden sind, sei es, daß er für ausreichend Regen und damit die Fruchtbarkeit auf den Feldern sorgt, sei es, daß er vor zuviel Regen und Hochwasser schütz. Eigentlich ist das sich windende Ungeheuer damit auch weniger ein Löwe als vielmehr ein drachen- oder schlangenartiges Wasserwesen. Deshalb ist auch das lange Tuch, das seinen Körper bildet, mit Wassersymbolen und Wellen verziert.

Als Wassertier kann er nicht nur Regen bringen oder vor dem Hochwasser schützen. Er kann auch die Holzhäuser vor Schaden durch Feuer bewahren. Deshalb ist es wichtig, daß er nicht nur durch die Straßen tanzt, sondern auch in das Innere der Häuser gebeten wird.

Schwarzer Shishi In manchen Gegenden Japans, besonders im Norden, gibt es nicht nur einen, sondern zwei Shishi: einer trägt einen schwarzen, der andere einen roten Kopf. Der schwarze Shishi gebärdet sich weitaus wilder als der kleinere rote. Nach einiger Zeit ihres Tanzen treffen beide Tiere aufeinander, um dann jeder wieder seinen eigenen Weg zu ziehen. Sie repräsentieren in ihrer unterschiedlichen Farbe und dem unterschiedlichen Wesen die Polarität von In und Yô, von Yin und Yang.

In der Regel wird der Löwentanz von den Bürgen eines Ortes organisiert, die sich in Vereinen zusammenfinden. Häufig findet der Kopf des Löwen seine Heimat in einem Shintoschrein, wo er bis zum neuen Tanz aufbewahrt wird. Bevor der Löwe durch die Straßen zieht, wird er im Schrein gereinigt und vom Shintopriester geweiht. Damit bekommt der Löwentanz eine religiöse Bedeutung. Er tanzt zum Schutz und zum Segen der Bürger und ist kein Element der Volksbelustigung.

 

Ursprung in Indien - Die Naga's

Einladung zum Löwentanz aus Nordjapan

Das merkwürdige Aussehen mit einem eher schlangenartigen Körper und seine Verbindung mir dem Wasser deuten darauf hin, dass es sich eigentlich überhaupt nicht um einen Löwen handelt. Das Unwesen erinnert eher an einen Drachen mit einem Schlangenleib, der sich heftig windend durch die Strassen treibt. Das Motiv schein denn auch aus China nach Japan gekommen zu sein, wo er eher ein Drache als ein Löwe war. Aber auch in China scheint er nicht ursprüngliche beheimatet zu sein. Vermutlich stammt der Shishi direkt von den indischen Nagas, den Schlangenkönigen ab, die immer im oder am Wasser wohnten. Einer der mächtigsten Nagas trägt auf seinem zusammengerollten Leib, der im Ur - Weltenmeer ruht, den schlafenden Vishnu. Als Vishnu erwacht und um sich blickt, erkennt er, dass er im Ursprung ruht und damit selbst der Ursprung aller Dinge ist. Stolz spricht er: „ich bin der Anfang und der Ursprung aller Dinge!“. Sofort aber erwacht am Himmel Brahma und widerspricht sofort: “ Nein, ICH bin der Ursprung!“. Daraufhin erhebt sich ein gewaltiges Ding, das aus dem Weltenmeer emporsteigt, sich bis zum Himmel reckt und einen nicht endenem Ring in sich selbst bildet. Dieses Wesen sagt von sich: „Ich bin Shiva, der Anfang und das Ende von Allem, Vishnu und Brahma sind zwei Erscheinungen meines Wesens!“ Es wird nicht erzählt, woher dieses Wesen kam, vielleicht ist es aber der erwachte Schlangenkönig, der Ruhesitz Vishnus.

 

Shishi im Alltag und im Teeweg

All diese Dinge mögen im Shishi enthalten sein, sie sind aber auf dem langen Weg von Indien bis nach Japan vergessen worden. So tanzt denn der Shishi in seinen zwei Erscheinungsformen, dem schwarzen und dem roten Shishi als merkwürdiges Wesen zwischen Schlange und Löwe und bringt Fruchtbarkeit und Schutz vor dem Verderben, vielleicht weil beides in seiner Macht liegt.

Als Wasserwesen, das vor Feuer schützt, hat der Shishi in Japan eine vielfältige Funktion. Er schützt insbesondere den Wasserkessel im Teeraum. Da der Kessel auf der Feuerstelle steht, geht von hier immer eine besondere Brandgefahr aus. Deshalb sind die Ösen, in die zur Handhabung des Teekessels Ringe eingehängt werden können sehr häufig in der Form eines Shishikopfes ausgebildet.
Ashiya - Teekessel
mit Shishi-Kopf
als Ösen für die Halteringe
Detail:
Ösen als Shishikopf
Auch auf den Dächern, besonders von Tempel und Palästen finden sich Dachreiter in Form eines Shishi. Damit schützt er die leicht brennbaren Holzbauten Japans vor Feuer oder auch allzu viel Wasser.

Auch der erste Rakukeramiker Chôjiro hat solche Dachreiter hergestellt.