Rilke

Duineser Elegie I

Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunklen Schluchzens.

Duineser Elegie II

Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir
atmen uns aus und dahin; von Holzglut zu Holzglut
geben wir schwächeren Geruch. Da sagt uns einer:
ja, du gehst mir ins Blut, dieses Zimmer, der Frühling
füllt sich mit dir ... Was hilft's, er kann uns nicht halten,
wir schinden in ihm und um ihn.

....

Liebende könnten, verstünden sie's, in der Nachtluft
wunderlich reden. Denn es scheint, daß uns alles
verheimlicht. Siehe, die Bäume SIND, Die Häuser,
die wir bewohnen, bestehen noch. Wir nur
ziehen allem vorbei, wie ein luftiger Austausch. ...

Liebende, euch, ihr in einander Genügten,
frag ich nach uns. Ihr greift euch. Habt ihr Beweise?
Seht, mir geschiehts, das meine Hände einander
inne werden oder das mein gebrauchtes
Gesicht in ihnen sich schont. Das gibt mir ein wenig Empfindung.
Doch wer wagt schon, darum zu SEIN?

Ihr aber, die ihr im Entzücken des Anderen
zunehmt, bis er euch überwältigt
anfleht: nicht mehr -; die ihr unter den Händen
euch reichlicher werdet wie Traubenjahre;
die ihr manchmal vergeht, nur weil der andere
ganz überhand nimmt: euch frag ich nach uns. Ich weiß
ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält
weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,
zudeckt; weil ihr dadurch das reine
DAUERN verspürt. So versprecht ihr euch Ewigkeit fast
von der Umarmung.


Der Engel Rilkes

Engel reichen in den Bereich der UN - endlich - keit. Sie gehen hin und her zwischen dem Bereich, wo es EINZELNES gibt, und dem Bereich, wo die Unterscheidungen wegfallen, wo das ALL-EIN ist.
Die Sehnsucht des Menschen geht dahin, zu SEIN. Wir sind vergänglich, mit jedem Augenblick immer schon wieder verschwunden, denn das, was war ist nicht mehr BEI UNS und wir nicht mehr dort.
Ein wesentliches aber können Engel nicht:
Sie kennen nicht die kleinen Dinge des Alltags, die, wenn man sie wirklich wahr-nimmt, d.h. in die WAHR nimmt (be-wahrt) erstaunliche Konkretion und absolutes DA-SEIN schenken. Dies können die Engel nur von uns lernen. Darum:

Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche, ihm
kannst du nicht großtun mit herrlich Erfühltem; im Weltall,
wo er fühlender fühlt, bist du ein Neuling. Drum zeig
ihm das Einfache, das, von Geschlecht zu Geschlechtern gestaltet,
als ein Unsriges lebt, neben der Hand und im Blick.
Sag ihm die Dinge. Er wird staunender stehen, wie du standest
bei dem Seiler in Rom, oder dem Töpfer am Nil.
Zeig ihm, wie glücklich ein Ding sein kann, wie schuldlos und unser ...
Zeig ihm, wie du den Teelöffel voll Liebe nimmst oder weggibst,
mit der ganzen Liebe deines Herzen, wie du die Chaire einfaches Ding
sein läßt um selbst zu SEIN. ...

Aber warum müssen wir erst nach Rom zum Seiler oder nach Ägypten zum Töpfer?
Weil wir im Alltag die Dinge nicht "sehen", weil sie sich hartnäckig in die "Unsichtbarkeit" zurückziehen.

... die Tiere merken es schon,
daß wir nicht verläßlich zu Hause sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich wiedersähen ....

Aber SEHEN wir ihn denn?
Die Dinge BRAUCHEN uns, damit sie unschuldige Dinge sein können. Als Gebrauchte SIND wir. Nicht gebraucht sein, heißt: NICHT sein!

Ja, die Frühlinge brauchten die wohl. Es muteten manche
Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob
sich eine Woge heran im Vergangenen, oder
da du vorüberkamst am offenen Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer
noch von Erwartungen zerstreut ...

GANZ SEIN, JETZT, HIER!

Das Einfachste überhaupt, aber wie schwer!

Voller Apfel, Birne und Banane,
Stachelbeere ... Alles dieses spricht
Tod und Leben in den Mund ... Ich ahne ...
Lest es einem Kind vom Angesicht,
 
wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
Wird euch langsam namenlos im Munde?
Wo sonst Worte waren, fließen Funde,
aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.
 
Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
Diese Süße, die sich erst verdichtet,
um, im Schmecken leise aufgerichtet,> klar zu werden, wach und transparent,
doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig - :
O Erfahrung, Fühlung, Freude -, riesig!

Rilkes Versuch, das Einfachste zu sagen!
Wie reich und unsagbar, ganz doppeldeutig:
hiesig und ins Unendliche reichend
ist eine einfache Berührung, der schlichte Geschmack eines Apfels!
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