Friedrich Hölderlin: Der Gang aufs Land

Komm! Ins Offene, Freund!

Der Hofmeister Hölderlin
Vermutlich im Frühjahr 1801 nach seiner Rückkehr aus Hauptwil in der Schweiz verfasst Hölderlin den gewaltigen Entwurf eines "vaterländischen Gesanges", den "Gang aufs Land". Allerdings bleibt dieser Gesang ein Entwurf. Von den vermutlich geplanten vier Strophen bleiben die dritte und vierte Strophe nur Fragmente.

Die persönliche Situation Hölderlins war nicht sehr glücklich. Seine Stelle als Hofmeister im Hause Gonzenbach in Hauptwil wird schon nach drei Monaten abgebrochen und Hölderlin kehrt frustriert im April 1801 nach Stuttgart zurück, wo er kurze Zeit im Hause seines Freundes, des Tuchhändlers Christian Landauer verweilt. Hölderlin bemüht sich erfolglos um eine Vorlesungstätigkeit an der Universität Jena, muss aber das Angebot einer Hofmeisterstelle beim Hamburger Konsul Meyer in Bordeaux annehmen. Bereits im Dezember des Jahres bricht er nach Bordeaux auf.
Hölderlins Einstellung zur "Beruf" des Hofmeisters ist gespalten. Der Hofmeister war zuständig für die Erziehung eines oder mehrerer Kinder der Familie. In einem Brief an den Freund Niethammer schreibt Hölderlin über die Aufgaben des Hofmeisters und Erziehers:

Die Thätigkeit des Erziehers (...) erschien mir nur darum als erstrebenswerth, weil das tägliche Leben mit den Kindern, die meiner Obhuth anvertraut waren, es möglich machte, ihre geistige Entwicklung von innen her zu befördern und (...) in ihnen das Bewußtsein zu erwecken, dass sie eines Tages auf dem Wege der Bildung allein fortschreiten müssen.
,Aber die wechselnden Verhältnisse, in denen sich das Leben eines Hofmeisters abspilt, waren weder meiner Natur noch meinem Lebensplan adäquat, und so war es immer mein Bestreben, danach eine Zeit der Independenz folgen zu lassen..."
(Brief an Niethammer 23.6.1801 StA 7,2 S.579)

Der Hofmeister war zwar ein voll ausgebildeter Akademiker mit entsprechenden Examina, aber in den Familen wurde er als Dienstbote angesehen, der u.a. zusammen mit den anderen Dienstboten in der Küche und nicht zusammen mit der Familie und den ihm anvertrauten Zöglingen zu essen hatte - für den stolzen Hölderlin eine nahezu unerträgliche Situation. Im Hause der Gontards kam es zu einem Eklat, als der Bankier Hölderlin schroff darauf hinwies, dass er nur ein Dienstbote sei. Im aufbrausenden Zorn verließ Hölderlin das Haus und seine Geliebte Susette Gontard. In einem Brief an die Mutter schieb er:

Aber der unhöfliche Stolz, die geflissentliche tägliche Herabwürdigung aller Wissenschaft und aller Bildung, die Äußerungen, dass die Hofmeister auch Bedienten wären, dass sie nichts besonders für sich fordern könnten, weil man sie für das bezahle, was sie thäten, (...) - das kränkte mich, so sehr ich suchte, mich darüber weg zu setzen, doch immer mehr und gab mir manchmal einen stillen Ärger, der für Leib und Seele niemals gut ist."
(An die Mutter 10.10.1798 StA 6,1 S.283)

Von außen gesehen zerschlugen sich für Hölderlin alle großen Hoffnungen. Die Verbindung zu Susette Gontard ware abgerissen, die Hoffnung, als Dichter der Deutschen eine wichtige Rolle spielen zu können verloren sich und in seiner Heimat konnte er sich immer nur vorübergehnd aufhalten, weil er sonst die verhasste Pastorenstelle hätte antreten müssen, weil ja der Fürst sein Studium nur unter dieser Bedingung mit einem Stipendium finanziert hatte. In einem Brief, den er nach seiner Rückkehr aus Bordeaux an den Freund Böhlendorff schrieb, hießt es:

Mein Lieber! ich denke, daß wir die Dichter bis auf unsere Zeit nicht kommentieren werden, sondern daß die Sangart überhaupt wird einen andern Charakter nehmen, und daß wir darum nicht aufkommen, weil wir, seit den Griechen, wieder anfangen, vaterländisch und natürlich, eigentlich originell zu singen.

Das Offene
Aber diese drückenden und äußerlich erfolglosen Jahre stellten für Hölderlins Dichtung einen Höhepunkt dar. Alle seine großen Entwürfe entstanden in diesen Jahren, so auch der "Gang aufs Land", einem "vaterländischen Gesang", der mit dem emphatischen Ausruf beginnt:

Komm! Ins Offene, Freund!

Das Offene ist nicht nur der schwäbische Ausduck für die freie Natur, das 'Land'. Der Dichter ruft ja im Gesang auf zum "Gang aufs Land", ins Offene. Das Offene ist die freie offene Weite, das Losgelöst-Sein von aller Bedrückung und Beschränkung.

In einem späten Entwurf, der "Griechenland" überschrieben ist, heißt es:

Oh ihr Stimmen des Geschickes, Ihr Wege des Wanderers!
Denn an der (Augen) Schule Blau,
Fernher am Tosen des Himmels
Tönt wie der Amsel Gesang
Der Wolken heitere Stimmung, gut
Gestimmt vom Dasein Gottes, dem Gewitter.
Und Rufe, wie Hinausschaun, zur
Unsterblichkeit und Helden

Es ist ein Konzert von Stimmen, von Stimmen des Geschickes: Da tost der Himmel, der Amsel Gesang tönt und es tönen die Rufe, "wie Hinausschaun. Die Rufe schauen hinaus aus der Enge des Alltags in das Offene. Einer dieser Rufe könnte das "Komm! Ins Offene, Freund!" sein. Diese Rufe sind "geschult" von der Augen Schule Blau, dem Himmel. In einem Text, der von Waiblinger veröffentlicht worden ist und den Waiblinger vermutlich bei einem seiner Besuche bei kranken Hölderlin entwendet hat heißt es:

Darf, wenn lauter Mühe das Leben, der Mensch aufschaun ( zum Himmel) und sagen: so will ich auch sein?
Ja. So lange die Freundlichkeit noch am Herzen, die Reine, dauert, misset nicht unglücklich der Mensch sich mit der Gottheit.

Das Hinaufschaun zum Himmel ist das Maß-nehmen. Das Hinaufschauen zum Blau des Himmels und das Maß-nehmen an der Gottheit ist "der Augen Schule Blau". Indem der Mensch aus der Mühe und Plage des Lebens hinaufschaut zum Himmel, mißt er sich mit der Gottheit und findet, wenn das Maßnehmen in Freundschaft und mit reinem Herzen geschieht sein eigenes Maß. Hölderlin fragt::

Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? dies glaub ich eher."

Fehlt es aber an der Freundlichkeit, der Reinen am Herzen, dann ist der Mensch ver-messen. Dies ist das Problem der griechischen Hybris, in der der Mensch so sein will wie Gott. Aber solange die "Freundlichkeit" da ist, ist der Blick hinauf ins Blaue des Himmels die Schule, die dem Menschen die Freiheit und das Offene lehrt. Diese Schule ist nicht die Schule der Schulmeister, die ihre Zöglinge zurechtstutzen und in die Enge der gesellschaftlichen Normen pressen. Es ist eine Schule, die Titanen erzieht weil das Maß die offene Weite des blauen Himmels ist.

Schon in seiner Frankfurter Zeit im Hause der Gontards hatte Hölderlin das Thema in dem kleinen Gedicht an die Eichbäume behandelt.

Die Eichbäume
Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt` und erzog, und der Erde, die euch geboren.

Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.

Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen.

Die Eichbäume sind wie ein Volk von Titanen:

Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum

Die Eichbäume greifen mit ihren Armen den weiten, offenen Raum des Himmels. Sie gehören nur sich selbst und dem Himmel. Dennoch sind sie nicht allein, sie drängen sich "fröhlich und frei" untereinander herauf. In dieser Gemeinschaft entwickelt sich jeder zu seiner vollen Größe und ihre Kronen ragen frei, heiter und groß in den Himmel. Jeder von Ihnen ist eine eigene "Welt".
Niemals sind sie in die Schulen der Menschen gegangen, die Gärten, wo die Pflanzen gezogen und er-zogen werden, so dass sie sich gestutzt und zurechtgeschnitten in die Gemeinschaft einfügen müssen, weil es der gesellschaftliche Zwang so erfordert.
Das Gedicht an die Eichbäume endet mit der Klage des Dichters, der die Knechtschaft nicht erdulden kann. Aber sein Herz fesselt ihn "ans gesellige Leben" und die Liebe bindet ihn an die Gemeinschaft mit den Menschen. Der Mensch ist das soziale Wesen, das nur in der Gemeinschaft mit den Anderen sein kann. Selbst der Einsiedler, der sich aus der Gemeinschaft der Menschen zurück zieht, lebt auf seine Weise das Soziale des Menschenwesens. Aber die Eichbäume, die - jeder ein Gott in freiem Bunde - zusammenleben sind das Bild einer Gemeinschaft der Menschen, die nicht durch Machtausübung und Unterdrückung oder aus schwacher Anpassung geformt ist. Sie ist das Bild einer menschlichen Gemeinschaft der Zukunft:

dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blik, nimmer das blinde Zittern des Volkes vor seinen Weisen und Priestern. dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, .... keine Kraft wird mehr unterdrükt werden, dan herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!
Systemprogramm, vermutlich von Schelling

Diese Vision einer künftigen Gesellschaft der Gleichen, in der Alle selbstbewußt und kraftvoll wie die Eichbäume freiwillig eine Gemeinschaft bilden kann Hölderlin in seiner Situation im Hause der Gontards nicht leben. Zwar ist er stolz wie einer der Eichbäume, aber Susette Gontard ist "ans gesellige Leben" gefesselt. Das gesellige Leben ist vermutlich nicht die soziale Bindung an die Gemeinschaft sondern an die Konventionen des geselligen, des gesellschaftlichen Lebens, das die Bankiersgattin perfekt beherrscht. Die Liebe zu dieser Frau bindet den Dichter ebenfalls an das gesellige Leben, das aber nicht seiner Sehnsucht in das Offene entspricht.
Freunde und Gefährten

Der Ruf - Komm! Ins Offene, Freund! - am Beginn des Gedichtes hat einen starken Aufforderungscharakter: Komm! Der Ruf kommt nicht aus dem Offenen sondern aus der Enge. Es ist nicht der Ruf dessen, der aus dem Offenen her den Freund, der noch in der Enge weilt herausruft, so wie der Prophet oder der Rufer in der Wüste die Menschen ruft. Es ist der Ruf in der drückenden Enge nach Gefährten, um sich gemeinsam auf den Weg ins Offene begeben zu können. Der Himmel ist eng und schließt uns ein, ja es ist die 'bleierne Zeit'. Der Ruf ist die Aufforderung, sich aufzumachen aus der Enge und Bedrücktheit und hinauszugehen in die offene Weite. Der Dichter kann und will diesen Weg nicht allein gehen, er fordert den Freund auf, mitzukommen. Der Freund ist nicht mehr die Geliebte, die, wie Susette Gontard an die gesellschaftlichen Zwänge gebunden ist. Schließlich ist sie die Gattin des Bankiers und führt ein reiches, gesellschaftliches Leben im Frankfurter Haus. Der Freund, den der Dichter ruft, ist der Gefährte, der sich gemeinsam mit ihm aufmacht, das Offene zu gewinnen. In dem Brief an Böhlendorf schreibt der Dichter am Schluß:

Schreibe doch nur mir bald. Ich brauche Deine reinen Töne. Die Psyche unter Freunden, das Entstehen des Gedankens im Gespräch und Brief ist Künstlern nötig. Sonst haben wir keinen für uns selbst; sondern er gehöret dem heiligen Bilde, das wir bilden.

Das Individuelle und das Ganze

Indirekt spricht der Dichter von sich selbst wenn er "den Freund" ruft. Der Freund ist vielleicht Christian Landauer, dem das Gedicht gewidmet ist. Aber geht es in dem Gedicht überhaupt um Herrn Hölderlin und seinen Freund, wer auch immer genau damit gemeint sein sollte? Im Entwurf zu einem Gedichtfragment "Vom Abgrund nämlich haben wir angefangen" steht ganz oben auf der Seite wie ein Motto oder eine Überschrift der Satz:

die apriorität des Individuellen
über das Ganze

Hölderlin hate sich intensiv mit der Philosophie Kants auseinandergesetzt. Die Apriorität ist das Frühere. Raum und Zeit z.b. sind für Kant nicht aus der Erfahrung abgeleitet. Sie sind vielmehr als "reine Formen sinnlicher Anschauung ... Prinzipien der Erkenntnis a priori", d.h. sie sind als Anschauungsformen des Bewußtseins nötig, damit überhaupt etwas erkannt werden kann. Sie sind "rein", weil sie nicht aus der Erfahrung abgezogen sind, sondern rein für sich und vor jeder Erfahrung sind. Raum und Zeit sind VOR der Erkenntnis da.
Die Apriorität des Individuellen über das Ganze heißt, dass zunächst jedes Individuum für sich selbst sich Selbst erfährt. Erst dann kann aus dieser Erfahrung des Individuellen der Standpunkt des Allgemeinen oder des Ganzen gewonnen werden. Die sinnliche Erfahrung des Individuums in seinem persönlichen Umfeld läßt später die Erkenntnis reifen, daß das Individuelle eingebettet ist in das Ganze. Mein persönliches Schicksal ist zugleich das Schicksal des Volkes, der Nation, der Epoche. Zunächst ist die individuelle Erfahrung gegeben, dass z.B. die Götter nicht zu mir sprechen. Aber das ist nicht nur mein Schicksal, es ist das Geschick einer ganzen Epoche. So heißt es im "Brot und Wein":

Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter, Aber über dem Haupte droben in anderer Welt. Endlos wirken sie da und scheinens wenig zu achten Ob wir leben

In der Zeit des antiken Griechenlands dagegen pflegten Götter und Menschen unmittelbaren Umgang, unsere Zeit dagegen ist nach Hölderlin die Zeit des Fehls.
Nur über die individuelle Erfahrung kann der Dichter das Allgemeine verstehen und seiner Aufgabe nachkommen, nämlich Lehrer der Menschheit zu sein. Diese Auffassung der Aufgabe des Dichters findet sich bereits in einem frühen Papier, das im Nachlass Hegels gefunden wurde. Vermutlich haben sich die drei Freunde Hölderlin, Hegel und Schelling getroffen und einen Entwurf für ein System der Philosophie verfasst. Der Entwurf nimmt Gedanken Hölderlins aus seiner Frankfurter Zeit auf. Vermutlich hatte Schelling in einer romantisch verklärten und in jugendlichem Schwung feurig vorgetragenen Jakobinerrede den Entwurf vorgetragen, den Hegel mitgeschrieben hat. In dem Entwurf wird der Poesie eine herausragende Stellung zugewiesen:

Die Poësie bekömmt dadurch e. höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war - Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie ... mehr, Die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften u. Künste überleben

Die Poesie wird "Lehrerin der Menschheit". Menschheit ist hier sicher nicht nur als Gesamt der Menschen zu verstehen. Im Sprachgebrauch der Hölderlinzeit ist Menschheit eher als Menschlichkeit im eigentlichen Sinne zu verstehen. Aber die Poesie soll und darf nicht nur Lehrerin Einzelner sein, sie muss auch die Menschheit, hier also das Gesamt der Menschen lehren. Dies kann sie nur, indem die "Ideen ästhetisch" werden. Das Ästhetische ist hier im wörtlichen Sinne zu verstehen als das Sinnliche. Die philosophischen Ideen müssen sinnlich werden, das heißt, sie müssen weg vom abstrakten, nur dem Gebildeten zugänglichen Gedanken und sie müssen unmittelbar sinnlich erfasst werden können.

Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse u. umgek. ehe d. Mythol. vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen.

Die Poesie muss also die höchsten philosophischen Ideen sinnlich erfahrbar und erfassbar machen, ähnlich, wie es die antike Mythologie getan hat. Zugleich aber muss die "neue Mythologie" vernünftig werden, damit auch die Philosophen stolz auf sie sein können. Auf diese Weise soll die neue Gesellschaft gebildet werden, in der nicht mehr das "blinde Zittern" desw Volkes vor den Weisen und den Mächtigen herrscht, weil Alle, auch der Niedrigste des Volkes über das Selbe Wissen verfügt, wie die Gelehrten, Priester und Weisen.

Damit haben die Dichter und Poeten eine ganz herausragende Stellung. Sie sind als die Urheber der Poesie Lehrer der Menschheit. Dies können sie nur sein, wenn sie ganz rein sind und die egoistischen persönlichen Wünsche und Hoffnungen abgelegt haben.
In dem unvollendet gebliebenen "Wie wenn am Feiertage" formuliert Hölderlin die herausragende Stellung der Dichter, die "mit entblößtem Haupt unter Gottes Gewittern stehen. "Tieferschüttert" leiden sie das Leiden des Stärkeren - in diesem Gedicht das Schicksal des Gottes Dionysos - mit. Aus diesem unmittelbar erfahrenene Mit - Leiden gestalten sie den Gesang, der nun gefahrlos an die Menschen weitergereicht werden kann. So war Dionysos aus dem Blitz des Zeus entsprungen. Nachdem er den Wein gestiftet hat, können nun die Sterblichen das himmlische Feuer, das im Wein enthalten ist, genießen.

Der Dichter erlebt in seinem individuellen Schicksal die "bleierne Zeit". Er ruft den Freund ins Offene. Aber der Ruf ist gerichtet an die "Deutschen". Es ist der Ruf, der aus der Depression der misslungenen Revolution ins Offene der neuen Zeit ruft.

Die bleierne Zeit

Das Wort von der bleiernen Zeit ist in den achziger Jahren als geflügeltes Wort in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Margarethe von Trotta hatte ihren Film über die beiden Ensslin-Schwestern "Die bleierne Zeit" genannt. Die bleierne Zeit ist hier die Zeit der Hoffnungslosigkeit der 50er Jahre, aus der die beiden Schwestern je auf ihre Weise ausbrechen. Die eine wird kritische Journalistin, die andere Mitglied der RAF. Beiden "gelinget der Wunsch", aber es ist die Frage, ob nicht mindestens im Falle von Gudrun Ennslin das entworfene Ziel "ganz wahr" ist. Auch die RAF hatte geglaubt, wenn sie nur das Werk beginnen, der Himmel - oder in diesem Fall die unterdrückte Arbeiterklasse - ebenfalls aufbricht ins erhoffte Ziel der Freiheit.

Auch zu Hölderlins Zeit hatte die beginnende Restauration eine ganze verlorene Generation von ehemals revolutionär denkenden und fühlenden jungen Menschen hervorgebracht. Böhlendorff war einer der unglücklichen Weggefährten Hölderlins, ein typisches Beispiel einer verlorenen Generation. Im Oktober 1794 immatrikulierte sich Boehlendorff an der Universität Jena und wurde ein Hörer Fichtes. Er wurde Mitglied der Gesellschaft der freien Männer, die von den Ideen der französischen Revolution angeregt war. In den Jahren 1797 bis 1799 war er als Hauslehrer bei Berner Familien tätig und schrieb danach eine Geschichte der Helvetischen Revolution. Mit Friedrich Hölderlin sowie mit anderen Dichtern und Gelehrten war er gut befreundet. Aber trotz vieler Versuche und Hilfen, gelang es Boehlendorff nicht, gesellschaftlich Fuß zu fassen. Seit 1804 bis zu seinem Suizid im Jahr 1825 führte Boehlendorff ein unstetes Leben.

Der Ruf des Aufbruches: "Komm!" wird sofort eingeschränkt mit einem starken "zwar".

Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute
   Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes
  Gipfel nach Wunsch und leer ruhet von Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng und die Gassen und fast will
  Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.

Der Himmel ist eng und verschlossen und nur Weniges glänzt herunter. In einer für Hölderlin typischen Bewegung geht die Aufmerksamkeit herunter vom Himmel über die Berge und hinein in die Enge der Gassen. Die Luft ist leer vom Gesang. Der Himmel ist eng und schließt ein, die Berge und Gipfel sind "nicht aufgegangen". Die Luft ist trüb, dunstig und schwer, das Wetter ist drückend und bedrückend, so dass es schwer fällt, überhaupt zu atmen. Das Gedicht ist in Stuttgart geschrieben, das sich tief in das Tal drückt und in dem an vielen Tagen die Luft schwer und drückend ist. Aber oben in der Höhe, im Offenen, weht ein scharfer und freier Wind. Das Bedrückende wird verstärkt durch die leeren Gassen. Kein Mensch ist unterwegs, alles duckt sich hinter verschlossenen Mauern. Die Mauern grenzen ab und sperren ein. Sie sind "sprachlos", jeder Einzelne ist gefangen in der Kälte der sprachlosen Mauern. Wenn schon die Sprache verstummt, so erst recht der Gesang. Die Vögel sind verstummt und keiner der Sänger oder Dichter erhebt seine Stimme zur gemeinsamen Feier und zum Lobpreis. In "Hälfte des Lebens" heißt es:

Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Das einzige Geräusch in dieser sprachlosen Kälte und Vereinzelung ist das Klirren der Fahnen. Diese Fahnen könnten die Wetterfahnen oben auf dem Kirchturm sein, der Wetterhahn, der zeigt, von woher und wohin der Wind weht. Die Wetterfahnen zeigen sie die Wetter und das Kommende an, der Hahn verkündet den neuen Tag. Aber hier klirren die Fahnen - sie geben keine erkennbare Richtung an, weil auch der Himmel keine erkennbare Richtung gibt. In der Sprachlosigkeit der Mauern herrscht Verwirrung und Orientierungslosigkeit. In einem Entwurf zur Mnemosyne heißt es:

Ein Zeichen sind wir, deutungslos,
Schmerzlos sind wir und haben fast
Die Sprache in der Fremde verloren.

Aber die Kälte des Winters schmerzt. Die Sehnsucht nach "Sonnenschein und Schatten der Erde" zerreißt fast vor Schmerz und Sehnsucht. Die klirrenden Fahnen sind dann fast wie die Banner des Krieges, der "mutig fechtenden Geschichten" ( Griechenland). Aber in Mnemosyne heißt es, wir sind "schmerzlos". Diese Schmerzlosigkeit ist kein positiver Zustand. Es ist die Hoffnunglosikgeit, die fast schon in eine unlösbare Lethargie führt. Darum auch sind wir ein "deutungsloses Zeichen". Das Zeichen zeigt. Aber das deutungslose Zeichen hat keine Richtung, in die es zeigen könnte, so wie die Fahnen richtungslos klirren. Das einzige was noch in dieser Hoffnungslosigkeit verblieben ist, ist die Zeichenhaftigkeit des Zeichens. Ein Zeichen, das nirgendwo hin zeigt, das "deutungslos" ist zeigt immerhin noch den Verlust an, den Verlust der Richtung, in die es zu gehen gilt. In der Deutungslosigkeit des Zeichens bleibt nur das dumpfe und orientierungslose Empfinden, dass es irgend eine Richtung geben müsste, in die es zu gehen gilt. Aber es gibt nirgendwo eine Orientierung, wohin es zu gehen gilt.

Die Stimmung im "Gang aufs Land" hat nicht mehr das Schmerzlich - Frostige des harten Winters mit seinen wechselnden Winden. Es ist vielmehr die Stimmung der Depression und der drückenden Schwere, die nahezu jeden Aufbruch in bleierner Schwere erdrückt, "fast will es mir scheinen, es sei in der bleiernen Zeit".

Nietzsche Zarathustra begegnete einst dieser bleiernen Schwere, die ihm wie ein Zwerg im Nacken saß und ihn niederdrückte:

Düster ging ich jüngst durch leichenfarbne Dämmerung, - düster und hart, mit gepreßten Lippen.
Nicht nur eine Sonne war mir untergegangen.
Ein Pfad, der trotzig durch Geröll stieg, ein boshafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Berg-Pfad knirschte unter dem Trotz meines Fußes.
Stumm über höhnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten ließ: also zwang mein Fuß sich aufwärts.
Aufwärts - dem Geiste zum Trotz, der ihn abwärts zog, abgrundwärts zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde.
Aufwärts - obwohl er auf mir saß, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; lähmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn träufelnd.

»O Zarathustra«, raunte er höhnisch Silb' um Silbe, »du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muß - fallen!
...Drauf schwieg der Zwerg; und das währte lange. Sein Schweigen aber drückte mich; und solchermaßen zu zwein ist man wahrlich einsamer als zu einem!

Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra
Nietzsche-W Bd. 2, S. 406-407) (c) C. Hanser Verlag

Der Wunsch

Obwohl Zarathustra der Geist der Schwere, der Zwerg, der alles klein macht im Nacken saß und ihn nieder drückte, steigt er trotzig weiter den Berg hinauf. "Aber es gibt etwas in mir, das ich Mut heiße: das schlug bisher mir jeden Unmut tot."

Auch im Gang aufs Land "gelingt der Wunsch" - dennoch!

Dennoch gelinget der Wunsch, Rechtglaubige zweifeln an Einer
  Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag.

Der Wunsch gelingt dennoch, weil es in der bleiernen Zeit nahezu unmöglich scheint, den Weg hinaus ins Offene zu wünschen, nahezu aussichtslos scheint jedes Unterfangen. Die "Rechtglaubigen" sind diejenigen, die in der bleiernen Zeit die Hoffnung aufrechterhalten. Die "Eine Stunde" ist die Zeit der Bedrückung und Orientierungslosigkeit. Die Frage ist nur, WIE der Wunsch gelingen kann. Der Wunsch ist immer ein Entwurf in die Zukunft. Die Gegenwart in ihrer Deutungs- und sogar Zeichenlosigkeit kann den Wunsch und die Richtung des Wünschens nicht nähren. Der Wunsch speist sich aus der Vergangenheit.

Jeder kennt das Misslingen des Wunsches in einer depressiven Stimmung. Man ist niedergedrückt und schwer. Die Last auf den Schultern scheint zu schwer. Manchmal ist es unmöglich, überhaupt etwas zu wünschen. Der Geist der Schwere macht alles klein, jeder Anfang scheint nutzlos: "jeder geworfene Stein muss fallen". Die Vergeblichkeit jedes Bemühens scheint klar vor Augen zu liegen. Wenn in einer solchen Depression überhaupt ein Wunsch gelingt, so ist dies bereits eine große Gabe. Aber der Wunsch ist oft geprägt aus der Erfahrung des Mangels. Alles muss ganz anders und ganz neu sein, aber gerade dadurch prägt der Mangel den Wunsch mit. Zudem bleibt oft die Frage, ob sich schlussendlich die Bemühung gelohnt hat. Man bricht auf in die große Freiheit des Südens, in die Länder, wo die Menschen frei und fröhlich sind. Aber dann ist dort alles anders als zu Hause. Man kann die Andersartigkeit nicht mehr ertragen und sehnt sich zurück ins Gewohnte. Darum hinterfragt Hölderlin das Gelingen des Wunsches sofort kritisch:

Nur dass solcher Reden und auch der Schritt und die Mühe
  Werth der Gewinn und ganz wahr das Ergötzliche sei.

In einem philosophischen Entwurf, der erst 1911 in einer Ausgabe der gesammelten Werke veröffentlicht worden ist, schreibt Hölderlin:

Das tiefe Gefühl der Sterblichkeit, des Veränderns, seiner zeitlichen Beschränkungen entflammt den Menschen, dass er viel versucht, übt alle seine Kräfte, und lässt sich nicht in Müßiggang gerathen, uns man ringt so lange um Chimären, bis sich endlich wieder etwas Wahres und Reelles findetzur Erkenntnis und Beschäfftigung.
 
In guten Zeiten giebt es selten Schwärmer.
Aber wenns dem Menschen an großen reinen Gegenständen fehlt, dann schafft er irgend ein Phantom aus dem und jenem, und drückt die Augen zu, dass er dafür sich interessiren kann, und dafür leben.

Wenn Wunsch gelingt und wenn er ein reiner und rechter Wunsch ist, so wird sich wie von allein die Erfüllung einstellen. Der Himmel wird selbst das Seine dazutun:

Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
  Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
  Und von trunkener Stirn' höhern Besinnen entspringt,
Mit der unseren zugleich des Himmels Blüthe beginnen,

Hölderlin greift hier eine alte chassidische Vorstellung auf. Die Chassidim verstanden die Thora als eine goldene Kette, die JHWH vom Himmel herabhängen läßt. Seit die Menschen aus dem Paradise vertrieben wurden, sind Himmel und Erde getrennt. Aber um den Menschen die Möglichkeit zu geben, das Paradies wieder zu erlangen und den Himmel auf die Erde zu holen, hat JHWH die goldene Kette der Thora am Himmel aufgehängt. Wenn der gläubige Jude mit aller Kraft an dieser Kette zieht, indem er sich fest an die Gesetze der Thora hält, sorgt er dafür, dass sich der Himmel nicht noch weiter entfernt. Für mehr sind seine bescheidenen Kräfte zu schwach. Wenn es aber gelingen würde, dass auch nur einen Augenblick alle Gläubigen zusammen mit aller Kraft an der Kette ziehen, so würde JHWH das Seine dazu tun und vom Himmel her an der goldenen Kette ziehen. Dann würden Himmel und Erde wieder vereinigt und der Himmel wäre auf Erden. Das Paradies wäre wiedergewonnen. Um dieses Werk zu vollbringen, bedarf es immer Einiger, die vorangehen, um all den Anderen den Weg zu zeigen, wie das Paradies wiedergewonnen werden kann. Das sind diejenigen, die vorausschauend vor der Zeit das Künftige sehen und durch ihr Vorbild die Anderen auf den Weg bringen:

Aber kommen doch auch der seegenbringenden Schwalben
  Immer einige noch, ehe der Sommer ins Land.

Der Dichter, der den Freund hinaus ins Offene ruft, ist wie die Schwalben, die zu früh kommen, aber schon weit voraus den künftigen Sommer künden. Schwalben haben eine besondere Nähe zu den Menschen. Als Kuturfolger bauen sie wie die Menschen ihre Häuser und sie siedeln in Kolonien immer in der Nähe des Menschen. Früher galten die Schwalben, die ihre Nester aus Lehm im Stall oder gar im Hauseingang bauten, als Glücksbringer. Wenn kein Schwalben im Haus nisteten, galt dies als ungutes Vorzeichen. Aber was ist, wenn die Dichter als frühe Schwalben ihren Gesang anstimmen aus der Not und Beschränktheit des Augenblickes, wenn sich die Entwürfe der erwarteten Zukunft nur aus rein Persönlichem speisen? Dann leiten sie die Gefährten, die sie rufen, um ihnen zu folgen in die Irre.

Darum ist für Hölderlin die Vergangenheit und die Geschichte so wichtig. Aus der Besinnung auf das, was einmal war speist sich die Hoffnung auf das, was kommen kann. Ganz wesentlich für die Entwürfe und die Hoffnungen auf die Zukunft ist für Hölderlin so wie für die gesamte Goethe-Zeit das antike Griechenland. Die deutsche Literatur hatte aus dem Griechentum ganz wesentliche Impulse erfahren. Kleist hatte in ständiger Hinsicht auf die antike griechische Tragödie sein Werk gestaltet. "Der zerbrochene Krug" etwa ist eine genaue Adaption von Sophokles' König Oidipus. Klopstock hatte die griechische Form der Oden für die deutsche Dichtung adaptiert und Goethe verfasste Gedichte im Hexameter, der durch die Homer - Übersetzung von Voss populär geworden war. Für Hölderlin war Griechenland das Land, in dem einst Götter und Menschen vertrauten Umgang miteinander pflegten und gemeinsam am Tisch saßen und speisten und tranken:

Seeliges Griechenland! du Haus der Himmlischen alle,
Also ist wahr, was einst wir in der Jugend gehört?
Festlicher Saal! der Boden ist Meer! und Tische die Berge,
Wahrlich zu einzigem Brauche vor Alters gebaut!

wo brichts, allgegenwärtigen Glüks voll
Donnernd aus heiterer Luft über die Augen herein?
Vater Aether! so riefs und flog von Zunge zu Zunge
Tausendfach, es ertrug keiner das Leben allein;
Ausgetheilet erfreut solch Gut und getauschet, mit Fremden,
Wirds ein Jubel, es wächst schlafend des Wortes Gewalt
Vater! heiter! und hallt, so weit es gehet, das uralt
Zeichen, von Eltern geerbt, treffend und schaffend hinab.

Das ganze Land der Griechen ist der Festsaal. Die Tische, an denen das Festmahl angerichtet ist, sind die Berge des Landes und der Boden das Meer. Die Natur Griechenlands ist der Festsaal, in dem sich Götter und Menschen zum Festmahl treffen. Das ganze Land ist erfüllt von den freudigen Rufen und die Millionen sind umschlungen im gemeinsamen Jubel so wie in Schillers "Lied an die Freude".
Aber diese "romantische" Sicht des alten Griechenland beruht vielleicht auf einer völligen Verklärung. Unverkennbare Tatsache ist es, dass eben dieses antike Griechenland nicht mehr existiert:

Aber die Thronen, wo? die Tempel und die Gefäße, ...
Wo, wo leuchten sie den, die fernhintreffenden Sprüche?
Delphi schlummert und wo tönet das große Geschick?

Zur Zeit Hölderlins bestand das Wissen über das antike Griechenland lediglich aus literarischer Überlieferung. Griechenland war unter der türkischen Herrschaft und nur vereinzelte Reisende berichteten über das Land, in dem nur noch Ruinen zu sehen waren. Die alte Religion und der alte Geist war schon in der Spätantike für immer verschwunden. Von Athen, das zu Hölderlins Zeit nur noch ein winzig kleines Dorf war, dachte man gar, es sei möglicherweise lediglich eine Erfindung der antiken Dichter und Schriftsteller. Nur von Sparta dachte man, dass es sich bis zur Gegenwart in den alten Mauer erhalten hätte. Einige Reiseberichte gaben Kunde von einer stark befestigten Stadt auf einer gewaltigen Felsspitze. Aber die Stadt Mistra, die man für das antike Sparte hielt war eine rein byzantinische Gründung. Das alte Sparte, das völlig unspektakulär in der Ebene gelegen hatte, war unter Schwemmland völlig verschwunden. Umso lebendiger aber war der antike Geist zur Zeit Hölderlins. Dieser Geist war so stark, dass er völlig die geistige Realität Deutschlands bestimmte. In einem Entwurf zu einem Aufsatz mit dem Titel: "Der Gesichtspunkt aus dem wir das Altertum zu sehen haben" schreibt Hölderlin:

Wir träumen von Bildung, Frömmigkeit pp. und haben gar keine, sie ist angenommen - wir träumen von Originalität und Selbstständigkeit, wir glauben, lauter Neues zu sagen, und all diß ist doch Reaction, eine milde Rache gegen die Knechtschaft, womit wir uns verhalten haben gegen das Altertum;
es scheint wirklich fast keine andere Wahl offen zu seyn, erdrükt zu werden von Angenommenem

Unsere Bildung und Frömmigkeit stammt nicht aus dem Heimatland. Sie ist fremd und angenommen, angenommen aus dem antiken Griechenland, vermittelt durch die Herrschaft Roms, durch die alles "Vaterländische" ausgerottet worden ist. Erst heute beginnen wir zu verstehen, dass in Deutschland eine lebendig und sehr hoch stehende Kultur und Religion vorhanden war. Die Kelten hatten Technologien entwickelt, die z.T. nach Süden exportiert wurden, z.B. die Kunst, Metall zu gewinnen und zu schmieden ist vermutlich im Alpenraum und nicht in Griechenland entwickelt worden. Die Druidische Religiosität reicht in sehr weite Zeiten zurück. Es war eine Religiosität, in der die Natur eine große Rolle spielte. Die Druiden hatten aus der Naturbeobachtung ungeheure Kenntnisse über die Gestirne gewonnen. Aber durch die christliche Missionierung, die im Zuge der römischen Herrschaft das ganze Land ergriff, sind alle diese Wurzeln verloren gegangen. Hölderlin klagt in seinem Aufsatz: "es scheint wirklich fast keine Wahl offen zu seyn, erdrückt zu werden von Angenommenem".
Nimmt man die Denkweisen und Erfahrungen des antiken Griechenland als Entwurf für den Wunsch, so kann man völlig in die Irre gehen, denn

Das schwerste .. scheint, daß das Altertum ganz unserem ursprünglichen Trieb entgegenzuseyn scheint, der darauf geht, das Ungebildete zu bilden, das Ursprüngliche, Natürliche zu vervollkommnen, so daß der zur Kunst geborene Mensch natürlicher weise und überall sich lieber mehr das Rohe, Ungelehrte, Kindliche holt, als einen gebildeten Stoff, wo ihm, der bilden will, schon vorgearbeitet ist.

Das Un-Gebildete ist das Natürliche, das noch nicht von Vorgängern vorgearbeitet und zum Bilde gebildet ist. Aber unglücklicherweise haben die Griechen schon alles als gebildeteten Stoff vorgeformt und vorgearbeitet. Der ursprüngliche Blick auf das noch nicht zum Bild Gebildete ist verstellt durch die Fülle der vorgegebenen Tradition und Denkweisen den Antiken. Dabei ist aber das Natürliche der Griechen dem unseren völlig entgegengesetzt. Die Natur ist geprägt von der Sonne und der Hitze, dem heißen Temperament des Südens, der leidenschaftlichen Hitze. "Unsere" Natur dagegen ist das kühle, nüchterne, die Dunkelheit der Wälder und der menschlichen Milde des Lichtes. Schon in der Antike überlegt der Arzt Hippokrates, das die Menschen von dem Klima geformt sein müssen, in dem sie leben. Die Temperamente sind geprägt vom Klima. Hippokrates meint, dass das Griechen - Land deshalb so ausgezeichnet ist, weil sein Klima ein mittleres und ausgeglichenes ist. Es hat nicht die Hitze und Glut Ägyptens oder des Landes der Aithiopen- derer mit dem von der Sonne verbrannten, schwarzen Gesicht - und nicht die Kälte des Hyperboräischen Nordens, des Landes der Menschen, die noch weiter nördlich leben als der Boreas, der Nordwind.
Im Böhlendorfbrief schreibt Hölderlin:

Die heimatliche Natur ergreift mich auch um so mächtiger, je mehr ich sie studiere.
Das Gewitter, nicht bloß in seiner höchsten Erscheinung, sondern in eben dieser Ansicht, als Macht und als Gestalt, in den übrigen Formen des Himmels, das Licht in seinem Wirken, nationell und als Prinzip und Schicksalsweise bildend, daß uns etwas heilig ist

Das "nationelle" des Lichtes ist bei den Antiken das Feuer des Himmels, in Germanien die kühle Verhaltenheit. Dieses Licht ist die "Schicksalsweise" der Völker. Es macht das nationelle, den besonderen Charakter der Menschen, die eine ganz besondere Region des Klimas bewohnen. Dieses Licht macht, "dass uns etwas heilig ist". Nicht nur DASS und etwas heilig ist, sondern auch WAS uns heilig ist. Der Monotheismus konnte nur im Wüstenklima gedeihen. Die dschungelhafte und unüberschaubare Fülle der indischen Götter entspricht dem tropischen Klima, in dem die Vegetation alles überwuchert.

Das Geringe

Im Brief an Böhlendorff schreibt er "daß die Sangart überhaupt wird einen andern Charakter nehmen, ... weil wir, seit den Griechen, wieder anfangen, vaterländisch und natürlich, eigentlich originell zu singen". Das eigentlich Originelle ist nicht nach dem Vorbild der Antiken gebildet. Es ist das Un-gebildete, Ursprüngliche und Rohe. Der Wunsch, den der Dichter nun in den Gesang kleidet, entspringt nicht dem Vorbild der Antiken, er ist ganz und gar schwäbisch. Es geht darum, dass der "verständige Wirt", der auf der Höhe über Stuttgart ein Haus für Gäste gebaut hat, das Richtfest feiert.

Nemlich droben zu weihn bei guter Rede den Boden
  Wo den Gästen das Haus baut der verständige Wirth;
Daß sie kosten und schaun das Schönste, die Fülle des Landes,
  Daß, wie das Herz es wünscht, offen, dem Geiste gemäß
Mahl und Tanz und Gesang und Stuttgarts Freude gekrönt sei,
  Deshalb wollen wir heute wünschend den Hügel hinauf.

Es geht hier nicht um einen großen Entwurf, der die Welt verändern wird und die Geschichte der Zukunft einen anderen Verlauf nehmen wird. Diese großen Entwürfe sind Sache der Helden. Die Sache der Helden ist es, groß zu scheitern. In ihrem Scheitern erst erfüllen sie ihr großes Schicksal. Im Entwurf Mnemosyne" heißt es:

Am Feigenbaum ist mein Achilles mit gestorben, Und Ajax liegt An den Grotten der See ... in der Fremd ist groß Ajax gestorben, Patroklos aber in des Königes Harnisch. Und es starben noch andere viel.

Im späten Entwurf "Griechenland" heißt es:

Wo darauf
Tönend wie des Kalbs Haut
Die Erde, von Verwüstungen her, Versuchungen der Heiligen, großen Gesetzen nachgehet

Die Erde dröhnt wie des Kalbs Haut, mit der die Kriegstrommeln bespannt sind. Sie dröhnt, indem sie von all den Erschütterungen und Verwüstungen der großen Taten nachhallt. Auch die Heiligen bringen mit ihren großen Taten und ihrem religiösen Eifer die Erde zum dröhnen: wie viele Kriege sind im Namen von Religionen geführt worden und werden noch heute geführt. Es ist zu viel Großes geschehen. Es ist an der Zeit, dass das Geringe wirkt!

Das Geringe, um das es im Gang aufs Land geht, ist das Richtfest für ein Gasthaus. Aber der verständige Wirt hat nicht einfach nur ein Gasthaus gebaut. Er möchte, das die Gäste "kosten und schaun das Schönste, die Fülle des Landes". Der Wirt möchte seine Gäste nicht nur mit den Produkten des Landes erfreuen, er hat sein Gasthaus ins Offene gebaut, damit die Gäste die heimatliche Natur selbst erleben. Der Blick soll sich nicht mehr auf die großen Ereignisse der Geschichte oder auf die Vorbilder der Antiken richten. Aber der Blick auf das Eigene ist das Schwerste, weils unsere Sehnsucht immer hinaus geht in die Weite. In einem Entwurf Hölderlins heißt es:

Einst hab ich die Muse gefragt, und sie
Antwortete mir:
Am Ende wirst du es finden.
Kein Sterblicher kann es fassen.
Vom Höchsten will ich schweigen.
Verbotene Frucht, wie der Lorbeer, aber ist
Am meisten das Vaterland. Die aber kost ein jeder zuletzt

In der Elegie "Heimkunft - An die Verwandten" gestaltet Hölderlin das Erlebnis der Heimkunft aus Hauptwil. Das Altbekannte der Heimat wird nach der Rückkehr aus der Fremde erkannt.

Warm ist das Ufer hier und freundlich offene Tale,
   Schön von Pfaden erhellt, grünen und schimmern mich an.
Gärten stehen gesellt und die glänzende Knospe beginnt schon,
   Und des Vogels Gesang ladet den Wanderer ein.
Alles scheinet vertraut, der vorübereilende Gruß auch
   Scheint von Freunden, es scheinet jegliche Miene verwandt

Freilich wohl! das Geburtsland ists, der Boden der Heimat,
   Was du suchest, ist Nahe, begegnet dir schon ...

Nach der Heimkunft aus der Fremde "scheint" alles vertraut. Scheint es nur so oder scheint es, weil es jetzt erst zu leuchten, zu scheinen beginnt? Das Scheinende ist das Phainomenon, das von sich her Leuchtende. Aber das Vertraute scheint erst, nachdem der Dichter aus der Fremde zurück kommt. Vorher war es das Un-scheinbare, das sich hartnäckig verborgen hatte. Das Gewohnte wird allzu leicht zum Gewohnten und Gewöhnlichen, das sich gerade weil es das Gewohnte ist, dem Blick entzieht. Selbst jetzt, wo alles vertraut "scheint", wird noch immer nicht alles hell und offenbar. Auch das Schein-barste behält etwas - vielleicht sogar das Wesentliche - zurück:

Aber das Beste, der Fund, der unter des heiligen Friedens    Bogen lieget, ist Jungen und Alten gespart.

Das Beste, der Fund bleibt gespart. In "Griechenland" heißt es: "Schöne Gärten sparen die Jahrzeit". Das Sparen hält zurück und bewahrt für später. Selbst die Gärten, die in den "Feiertagen des Frühlings" in voller Blütenpracht stehen sparen die Jahrzeit. Es sind nicht gleichzeitig die "wilden Rosen" und die Gelben Birnen". Die Fülle der Natur in den Feiertagen des Frühlings täuscht darüber hinweg, das selbst diese Fülle nicht Alles ist. Alles hat seine Zeit. Im Frühling zeigt sich anderes als in der Zeit der Ernte oder in der Stille des Winters. Das Phainomenon scheint niemals in seiner ganzen Fülle, es zeitigt sich. Der Fund, der gespart ist, ist der Schatz, den man nach einer Volkstradition am Fuße des Regenboges, des heiligen Bogens des Friedens, findet. Nach mancher Überlieferung kann man auf dem Regenbogen wie auf einer Brücke bis in den Himmel wandern, wenn das Herz vollkommen rein ist. Wenn man nur zum Ende des Bogens hinkäme! Der Friedens - Bogen zeigt deutlich, dass bei aller Fülle der Schatz gespart bleibt.

Der Brauch
Auch im "Gang aufs Land" erschließt sich die heimatliche Natur auf eine ganz neue Weise. Der verständige Wirt hat das Haus gebaut, in dem er die Gäste bewirtet. Das Haus steht nicht unten im Tal, wo die Gassen dumpf und leer sind, es steht im Offenen, oben auf der Höhe. Der Gang zum Gasthaus wird zu einem Pilgergang, damit die Gäste

kosten und schaun das Schönste, die Fülle des Landes,
  Daß, wie das Herz es wünscht, offen, dem Geiste gemäß
Mahl und Tanz und Gesang und Stuttgarts Freude gekrönt sei

Das Geringe das hier gewünscht wird ist die Fülle des Landes, die gefeiert wird in Mahl und Tanz und Gesang. Aber die Fülle muss offen und dem "Geiste gemäß" sein. Dem Geste gemäß kann etwas nur sein, wenn es ins Wort gefasst werden kann. Aber nicht nur der Dichter spricht von "Stuttgarts Freude". Es ist ein Konzert von drei Stimmen, die preisen: Der Dichter singt seinen Gesang, der Zimmermann spricht seinen Spruch und das menschenfreundliche Mailicht erklärt von selbst.

Deßhalb wollen wir heute wünschend den Hügel hinauf.
Mög' ein Besseres noch das menschenfreundliche Mailicht
  Drüber sprechen, von selbst bildsamen Gästen erklärt,
Oder, wie sonst, wenn es andern gefällt, denn alt ist die Sitte,
  Und es schauen so oft lächelnd die Götter auf uns,
Möge der Zimmermann vom Gipfel des Daches den Spruch thun,
  Wir, so gut es gelang, haben das Unsere gethan.

Der Zimmermann spricht seinen Spruch, weil es die Sitte, der Brauch erfordert. Die Bräuche bestehen von altersher und sie geben dem Leben, was es braucht. Der Alltag wird durch die Bräuche strukturiert und gewinnt einen Sinn, indem die Feiertage des Jahres den Jahresgang gliedern. In den Feiertagen des Frühlings wird der rauschhafte Neubeginn der Natur gefeiert, im Erntedank der Natur für den reichen Segen gedankt. Immer aber kommen die Menschen zu diesen Bräuchen zusammen und feiern gemeinsam das Leben. Wenn die Menschen zusammenkommen, versammeln sich auch die Götter und schauen "lächelnd auf uns".

Im homerischen Hymnus auf Apollon wird ein solches Fest geschildert. Die Menschen, die sich zur Feier des Gottes auf der Insel Delos versammeln, sind von der Festfreude so verwandelt, dass man meinen könnte, sie seien die Unsterblichen. Das"größte Wunder" aber sind die delischen Mädchen, die zum Gesang des Rhapsoden tanzen. Der Rhapsode singt von schweren Leben der Sterblichen und er gedenkt der Unsterblichen. Zur gleichen Zeit versammeln sich die Götter auf dem Olymp, Apollon selbst singt von den Freuden der Unsterblichen und er gedenkt der Leiden der Sterblichen, und die Musen und Chariten selbst tanzen zu seinem Lied.
Das Fest, das die Menschen "dem Geiste gemäß" tanzen, bringt Götter und Menschen zusammen. Die Versammlung der Götter bei Gesang und Tanz ist wie ein Spiegel dessen, was die Sterblichen tun. Das delische Fest ist geistig, weil der Sänger das rechte Wort weiß, weil er es singt und die delischen Mädchen dazu den Reigen tanzen, der Götter und Menschen zusammenbringt.

Der Zimmermann tut seinen Spruch, wie es Tradition ist, der Dichter versucht seinen Gesang, aber das wichtigste tut das Mailicht, das "ein Besseres noch darüber" spricht. Was das menschenfreundliche Mailicht spricht, muss nicht mehr erklärt werden, was es spricht, ist "von selbst bildsamen Gästen erklärt". Die Gäste sind bildsam, weil sie sich nach dem Spruch des Mailichtes bilden lassen. Das Mailicht ist freundlich, weil es zwar wärmt, aber mild und freundlich, nicht heiß uns zerstörerisch ist. Aber was spricht das menschenfreundliche Mailicht:

Aber schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings
  Aufgegangen das Thal, wenn vom Neckar herab,
Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume
  Zahllos, blühend weiß, wallend in wiegender Luft,
Aber mit Wölkchen bedekt an Bergen herunter der Weinstok
  Dämmert und wächst und erwarmt unter dem sonnigen Duft

Hölderlin gelingt in diesen fast ekstatisch tanzenden Versen etwas Ungeheures. Er vermählt den Geist Griechenlands mit dem Germanischen indem er perfekte Hexameter mit dem alten Stabreim verknüpft.
Das Tal, das zuvor in drückender, bleierner Schwere verschlossen war, ist nun aufgegangen. Freilich hat sich der Blickwinkel geändert: der Dichter schaut nun nicht mehr aus der Enge der Gassen sehnsüchtig nach oben, er steht im Offenen, auf der Höhe des Berges und erlebt nahezu rauschhaft die Natur in den Feiertagen des Frühlings: Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume / Zahllos, blühend weiß, wallend in wiegender Luft. Es ist der Reigen der Natur, der unmittelbar - ohne dass sich das Bild der Götter oder der Göttlichen dazwischen schiebt - die Fülle feiert. Es ist das, was das menschenfreundliche Mailicht klar und hell, von selbst erklärt, den bildsamen Gästen zeigt.

Dieses ekstatische Erlebnis muss freilich in Nüchternheit verarbeitet werden. Schon bevor der Dichter und der Gefährte aus dem Tal aufgebrochen sind, heißt es, wenn :

erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
Und von trunkener Stirn' höhern Besinnen entspringt

Das Herz muss aufgegangen sein. Das Herz ist der Sitz der Gefühle und Emotionen. Ohne Beteiligung des Herzens kann kein guter Gedanke gelingen. Die Stirn ist "trunken", rauschhaft. Nur aus dieser Trunkenheit kann die Be-Geisterung entspringen.
Im Entwurf des Systemprogrammes hatte - vermutlich - Schelling gesagt:

Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstaben Philosophen.
Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische (sinnliche) Philosophie. Man kan in nichts geistreich seyn ... ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentl. dem Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen, - und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen u. Register hinaus geht.

Ohne den ästhetischen Sinn, das heißt aber auch ohne den Sinn für Schönheit kann es keine Philosophie des Geistes geben. Aber Wenn die Trunkenheit überwiegt, .. schwindet alles, wie beim trunkenen Mahl. Hölderlins großes Vorbild, Platons Symposion schildert, wie nach der Rede des Alkibiades, der das dionysisch rauschhafte in das Symposion zurückgebracht hatte, alle trinken bis zur Besinnungslosigkeit. Schließlich sind alle im Rausch eingeschlafen. Als letzte bleibt das Dreigestirn Aristophanes, Agathon und Sokrates wach. Zuerst schläft auch der Komödiendichter Aristophanes, dann auch der Tragödiendichter Agathon ein. Nur Sokrates bleibt wach. Er erliegt nicht der Trunkenheit. Am frühen Morgen steht er auf, geht ins Lykaion, wo er ein Bad nimmt und sich von der dionysischen Trunkenheit reinigt um dann den ganzen Tag zu philosophieren, wie er es immer tat.
Die rauschhafte Trunkenheit ist notwendig, um jenseits von Tabellen und Registern einen geistvollen Gedanken zu fassen. Aber die Trunkenheit muss gebändigt werden, der Stirn muss "höher Besinnen" entspringen. In "Hälfte des Lebens" tunken die Schwäne "trunken von Küssen das Haupt ins heilignüchterne Wasser". Die Schwäne sind das Bild der Liebe UND der Reflektion. Das Wasser, das heilignüchtern ist, spiegelt die Wilden Rosen und die gelben Birnen. Es spiegelt aber auch die Schwäne selbst. Indem sie ihr Haupt, trunken von Küssen" ins Wasser tunken, werden sie zusammen mit ihrem Spiegelbild auf dem Wasser zu einem Bild der innigen Reflektion.
Aber die Stimmung der Trunkenheit steigert sich noch weiter. Noch schöner als die Fülle der Natur, die sich offenbart im menschenfreundlichen Mailicht muss es werden, wenn im Gasthaus das Mahl serviert wird:

Schöner freilich muss es ,werden wenn
Liebenden in den

entgegentönt

friedlich die Arme des Neckars
die Insel
indessen oben


und der volle Saal

da, da
sie sinds, sie haben die Masken
Abgeworfen
jetzt, jetzt, jetzt
ruft
dass es helle werde,
weder höret noch sehen
Ein Strom
daß nicht zu Wasser die Freude
Werde, kommt ihr himmlischen Gratien
und der Nahmenstag der hohen,
der himmlischen Kinder sei dieser!

Nach dem geglückten Höhepunkt der Vermählung des griechischen Hexameter's mit dem deutschen Stabreim zerbricht der Gesang. Alles was bleibt, sind nur noch einzelne Worte, die aber offenbar in einer ganz festen Reihenfolge nach einem bestimmten Plan des Dichters notiert sind. Mußte der Gesang zerbrechen?

Im zweiten Teil von Goethes Faust trifft Faust Helena in ihrem alten Palast in Sparta. In einem arkadischen Hain - dem Ort der heiteren Dichtkunst - zeugen sie einen Sohn. So sollte der Geist der Antike vermählt mit dem nordisch - deutschen Geist die neue Dichtkunst und Kultur hervorbringen. Aber der Sohn von Helena und Faust, der Knabe Euphorion, der schön oder gut Tragende - schwingt sich übermütig in schwindelnde Höhen und stürzt ab. Auch der Gesang, den der Dichter im Gang aufs Land versucht, stürzt aus der schwindelnden Höhe ab und zerbricht. Neben den Textes des zerbrochenen Teiles hat Hölderlin quer an den Rand geschrieben:

Singen wollt ich leichten Gesang, doch nimmer gelingt mirs,
  Denn es machet mein Glük nimmer die Rede mir leicht.

Ist das Glück die übergroße Freude, die Trunkenheit, die nicht mehr ins "heilignüchterne" gefaßt werden kann? Oder ist das Glück das Geschick, des Dichters, dem der Gesang nicht glückt? Vermutlich im Sommer 1799 schreibt Hölderlin ein Gedicht über Sophokles in das Stuttgarter Foliobuch:

Sophokles
Viele versuchten umsonst das Freudige freudig zu sagen
Hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.

Wechsel der Stimmungen

Die Stimmung des Gedichtes ist nun völlig umgeschlagen. Am Anfang war die bleierne Schwere, jetzt sind fast ekstatisch - freudige Rufe: "jetzt, jetzt, jetzt" und "da, da". Aber diese freudige Stimmung droht schon wieder umzuschlagen: "aber dass nicht zu Wasser die Freude werde". Dieser Wechsel der Stimmungen und das Umschlagen in neue Reflektion ist philosophisch bedingt. In seiner Frankfurter Zeit hatte Hölderlin sich intensiv mit Platon's Symposion auseinandergesetzt und dort den "Wechsel der Stimmungen" studiert. Der Komödiendichter Aristophanes spricht über den Eros in Form einer Komödie, indem er von den Kugelmenschen erzählt, die zwei Köpfe, vier Arme und vier Beine haben und sich fortbewegen wie ein Rad, indem sie auf all ihren acht Gliedmaßen kreisen. Aber im Kern ist diese Komödie tragisch. Zeus läßt die Kugelmenschen in zwei Teile zerschneiden, so daß die heutigen Menschen daraus werden. Aber es bleibt die Grundsehnsucht nach dem anderen Teil, die Sehnsucht, wieder ganz zu sein. Der Verlust der Ganzheit und die stete Sehnsucht nach der erneuten Vollkommenheit ist das Grundschicksal des Menschen.

In einem gewaltigen Entwurf zu einer Philosophie der Dichtung notiert Hölderlin:

Wenn einmal der Dichter des Geistes mächtig ist, wenn er die gemeinschaftliche Seele, die allem gemein und jedem eigen ist, gefühlt und sich zugeeignet, sie vestgehalten, sich ihrer versichert hat, wenn er ferner der freien Bewegung, des harmonischen Wechsels und Fortstrebens , worinnen der Geist sich selber und in anderen zu reproducieren geneigt ist, wenn er des schönen im Ideale des Geistes vorgezeichneten Progresses und seiner poetischen Folgerungsweise gewiß ist, wenn er eingesehen hat, dass ein nothwendiger Widerstreit entstehe zwischen der ursprünglichen Forderung des Geistes, die auf Gemeinschaft und einiges Zugleichseyn aller Theile geht, und zwischen der anderen Forderung, welche ihm gebietet, aus sich heraus zu gehen, .... wenn er dieses eingesehen hat, so kommt ihm alles an auf die Receptivität des Stoffs zum idealischen Gehalt und zur idealischen Form.

Der Dichter ist des Geistes nicht mächtig in der Weise, dass er Macht über ihn ausübt. Im alten Sprachgebrauch ist die Macht die körperliche oder geistige Fähigkeit, das Vermögen. Im späten Gedicht "Griechenland" heißt es: "Die Menschen sind der Natur öfters mächtig" - sie vermögen, wenn auch nicht immer, die Natur zu verwirklichen. Der Geist, dessen der Dichter mächtig ist, ist kein individueller Geist oder Verstand. Er ist "allen gemein und jedem eigen". Für den Freund Hegel verwirklicht sich der Geist in der Geschichte, indem er im Verlaufe der Geschichte zu sich selbst kommt. Der Geist ist allen gemein, das heißt, er ist überall, vermutlich nicht nur als "Geist der Menschen" sondern auch als Geist der "Natur". Der Geist ist die gemeinschaftliche "Seele", die der Dichter "gefühlt und sich zugeeignet" haben muss, die er festgehalten und sich ihrer versichert haben muss. Modern gesprochen muss der Dichter die allgemeine Seele, den allgemeinen Geist erfahren haben, nicht nur so, dass er einmal diese Erfahrung gemacht hat, sondern so, dass er ihrer sicher ist. Diese Sicherheit ist nötig, weil der Geist oder die Seele eine notwendige Bewegung macht, nicht immer im selbsen "Zustand" ist. Es ist die "ursprüngliche Forderung des Geistes auf "einiges Zugleichseyn aller Theile". In der Sprache des Komödiendichters Aristophanes sind das die ursprünglichen Kugelmenschen. Theologisch gesprochen ist es der Zustand des Paradieses, in dem Alles Eins ist. Der Dichter sagt: "Alles ist innig". Aber zugleich besteht die "Forderung, ... aus sich heraus zu gehen". Im ursprünglichen Zustand, oder wie der Freund Hegel sagen würde im "ansich Sein" ist der Geist ganz, er ist Eins mit sich, der Natur, Gott und den Menschen. Nach der - notwendigen - Vertreibung aus dem Paradies herrscht - hegelianisch gesprochen - die Entfremdung. In der Entfremdung ist der Mensch nicht nur gegenüber Gott der ganz Andere, er ist auch der Natur und sich selbst entfremdet, er leidet. Die Entfremdung ist nur aufzuheben, indem der Mensch weitergeht mit der Bewegung des Geistes, der notwendig wieder zur Ganzheit strebt.

Wenn der Dichter dies eingesehen hat, so kommt ihm "alles an auf die Receptivität des Stoffes zum idealischen Gehalt. Die Rezeptivität ist in der kantischen Philosophie sinnliche Erkenntnis. In der Kritik der reinen Vernunft heißt es:

diese Receptivität unserer Erkenntnißfähigkeit heißt Sinnlichkeit und bleibt von der Erkenntniß des Gegenstandes an sich selbst, ob man jene (die Erscheinung) gleich bis auf den Grund durchschauen möchte, dennoch himmelweit unterschieden

Iohann Heinrich Tieftrunk, ein Zeitgenosse Kants schreibt in einem Brief an Kant: "Wie wir sagen: die Vorstellungen des Verstandes entstehen durch Spontaneität, so sagen wir, die Vorstellungen der Sinnlichkeit entstehen durch Receptivität." Die "Receptivität des Stoffs zum idealischen Gehalt" heißt, dass der Stoff, den der Dichter gestaltet, sinnlich sein muss, aber das Idealische enthalten muss. Das Idealische ist die Ganzheit des Geistes, in dem Alles Eins ist. Die sinnliche Gestalt, die der Stoff im "Gang aufs Land" annimmt, ist die Bedrückung des Anfanges, das Aufbrechen ins Offene, die Fülle der Natur in den Feiertagen des Frühlings ind das Mahl im Gasthaus. Das Mahl im Gasthaus ist idealisch? Nein, es ist natürlich, naiv. Entsprechend der Bewegung des Geistes, der nach dem einigen Zugleichsey aller Teile" strebt, der aber notwendig die Entwicklung des getrenntseins durchachen muss, findet seine Entsprechung im Wechsel der Stimmungen, mit dem der Stoff gestaltet ist.
Heroisch, Idealisch, Naiv
Im Symposion findet Hölderlin das Vorbild für den Wechsel der Stimmungen. Das Dreigestirn, das am Ende des Symposions allein noch wach ist, wird das Vorbild für die Stimmungen. Der Komödiendichter Aristophanes gestaltet seinen Stoff "naiv", der Tragödiendichter Agathon steht für das "heroische" und der philosophische Sokrates für das "Idealische". Das Heroische ist das Kämpferische, das in der Unterscheidung und im Getrenntsein kämpft. Aber es muss im Kern idealisch sein, d.h. das Ziel des "Zugleichseyns aller Theile" muss im heroischen enthalten sein, damit das kriegerische nicht zur Zertörung wird. Das Heroische erstreitet das Idealisch des Eins - Alles. Aber damit ist es vom Leben abgehoben und gerät in die Gefahr, als reines Hirngespinst sich im Dunst zu verlieren. Darum muss das Idealisch im Kern naiv sein, d.h. es muss danch streben, sich im sinnlichen, im einfachen Leben zu verwirklichen. Erst dann ist das Heroische an sein Ziel gelangt. Aber das Naive gerät in die Gefahr, sich selbstzufrieden im Sinnlichen zu verfestigen. Damit würde es das Idealische wieder verlieren. Der Prozess des heroisch, idealisch, naiv, h - i - n , beginnt von neuem. Der Wechsel des h - i - n ist eine sehr hoch entwickelte dreistufige Dialektik, der Versuch Hölderlins, die Entwicklungen des Geistes in den Stoff zu fassen und im Wechsel der Stimmungen zu gestalten. In den Papieren Hölderlins finden sich ganze Tabellen aus den drei Buchstaben h i n. Offenbar handelt es sich um die Baupläne zu einzelnen Gedichten. In einem theoretischen Entwurf, der sich vermutlich auf den Empedokles bezieht schreibt Hölderlin:

Die tragische Ode fängt im höchsten Feuer an, der reine Geist, die reine Innigkeit hat ihre Grenze überschritten, sie hat diejenigen Verbindungen des Lebens, die nothwendig, also gleichsam ohnediß zum Contact geneigt sind, und durch die ganze innige Stimmung dazu übermäßig geneigt werden, (nemlich) das Bewußtseyn, das Nachdenken, oder die physische Sinnlichkeit nicht mäßig genug gehalten, und so ist durch Übermaas der Innigkeit der Zwist entstanden, den die tragische Ode gleich zu Anfang fingirt, um das Reine darzustellen.

Sie geht dann weiter durch einen natürlichen Act aus dem Extrem des Unterscheidens in das Extrem des Nichtunterscheidens, des Übersinnlichen, von da fällt sie in eine reine Sinnlichkeit in eine bescheidene Innigkeit

Die tragische Ode fängt im höchsten Feuer an. Der urspüngliche Zustand der Einheit ist durch ein "Übermaß der Innigkeit" in den Zwist übergegangen. Der Zwist ist der Streit des Unterschiedenen, mit diesem Streit beginnt der Stoff der Ode. Der Streit ist in der Entzweiung und Entfremdung. Auch im Buddhismus gibt es ähnliche Gedankengänge. Die berühmte Zen-Geschichte vom Och und seinem Hirten beginnt mit dem suchenden Hirten, der seinen Ochsen, die ursprüngliche einheit, verloren hat. In dem Augenblick, wo das Bewußtsein des Menschen erwacht, erlebt er die Trennung und das Leiden. Jeder Mensch ist ursprünglich als Embrio in der ursprünglichen Einheit. Die Geburt ist der Akt der notwendigen Trennung und des auseinander Gehens. Dieser Vorgang wiederholt sich schmerzlich spätestens in der Pubertät, in der die Kinder beginnen, sich im Kamp mit den Eltern loszulösen aus der ursprünglichen Einheit. Immer wieder erleben wir Phasen in unserem Leben, wo die Einheit - durch ein Übermaß der Innigkeit verursacht, in der die Nähe zu groß wurde - in den Streit und die Auseinandersetzung übergeht. Aber "diejenigen Verbindungen des Lebens", die nach der Innigkeit streben, streben notwendig danach. Es ist die Tiefe Sehnsucht des Menschen nach der "ursprünglichen" (?) Einheit. Aber gibt es überhaupt diese ursprüngliche Einheit außer in unserer Sehnsucht? Immer schon ist der Mensch aus dem Paradies vertrieben, aber immer auch sehnt er sich danach zurück. Die tragische Ode beginnt mit dem Heroischen, dem Streit, der aber nur dann zu einer guten Lösung führt, wenn er im Kern schon das Ideal der neuen Innigkeit in sich enthält.

Götter im Gasthaus

Der "Gang aufs Land" beginnt scheinbar ganz und gar unheroisch. Aber er beschreibt den Zustand der Entfremdung und des Leidens. In heroischer, kämpferischer Weise ringt der Dichter um den Wunsch, der herausführt aus der Bedrückung und der Vereinzelung. Der Wunsch ist scheinbar naiv: "nicht Mächtiges ists, zum Leben aber gehört es was wir wollen", nämlich das Richtfest für das Gasthaus auf dem Berg zu feiern. Aber dieses Naive Ziel enthält in sich das Idealische nämlich dass "dem Geiste gemäß Mahl und Tanz und Gesang und Stuttgards Freude gekrönt sei". Das gemeinsame Mahl ist eine der tiefgreifendsten religiösen Erfahrungen der Menschheit. Nachdem Moses die steinernen Gesetzestafeln erhalten hatte, führte er die Ältesten Israels aud den Berg Choreb. Am frühen Morgen kommen sie auf dem Gipfel an und sie "sahen Gottheit, leuchtend wie Kern des Himmels". Und dann geschieht etwas Ungeheures: "Sie setzten sich nieder und aßen und tranken und nicht reckte seine Hand aus JHWJ wider die Eckpfeiler Israels". Die Ältesten SEHEN Gottheit. Statt niederzufallen im Gebet tun sie das Natürlichste und Einfachste: sie setzen sich nieder zum gemeinsamen Mahl im Angesicht der Gottheit. Kein Mensch kann die Gottheit sehen von Angesicht und leben. Aber das gemeinsame Mahl wird zu einer Feier der Gegenwart Gottes und der Gemeinschaft der Menschen.
Offenbar hatte Hölderlin eine ähnliche Erfahrung gestalten wollen.

und der volle Saal

da, da
sie sinds, sie haben die Masken
Abgeworfen
jetzt, jetzt, jetzt
ruft
dass es helle werde, Sind die Göttlichen anwesend im vollen Saal und teilen das Mahl mit den Menschen? Die Frage "Doch was sollen Götter im Gasthaus?" scheint diese Vermutung zu stärken. Der ekstatische Ausruf: "Da, da!" verstärkt diese Vermutung. Dann heißt es noch: "Sie haben die Masken abgeworfen". Die Göttlichen, sofern von diesen die Rede sein sollte, haben bisher Masken getragen, die sie jetzt abgeworfen haben.

Der eigentliche Gott mit der Maske ist Dionysos. Dionysisch ist auch das gemeinsame Mahl, der Gesang und der Tanz. Dionysos ist so sehr mit der Maske verbunden, dass es genügt, eine Maske zu präsentieren, um die Gegenwart des Gottes anzuzeigen.
Die Maske zeigt eine Vorderseite, die sich unmittelbat aufdrängt. Sie zeigt aber zugleich auch, dass da eine Rückseite ist, die sich der Erkenntnis entzieht. Diese Gegenwart des Entzogenen macht das Un-heimliche der Maske aus. Ich habe einmal erlebt, wie sich zwei Alte in einem Experiment Masken aufgesetzt haben. Beide haten plötzlich völlig andere Bewegungen und ein ganz und gar fremdes Gebahren. Die Masken hatten Besitz ergriffen von ihnen und ihr Persönlichkeit völlig verwandelt. Der Herr machte der Dame den Hof. Sie ging unmittelbar auf dieses Maskenspiel ein, aber ganz plötzlich riss sie sich voller Entsetzen die Maske vom Gesicht. Sie war entsetzt von dem, was in ihr selbst hinter ihrer eigenen Maske zum Vorschein gekommen war.

Die Maske ist die sich unmittelbar aufdrängende Vorderseite, der starke Andrang des Kommenden, das aber zugleich die hartnäckige Verbergung der Rückseite zeigt. Die Fülle der Natur in den Feiertagen des Frühlings blendet den Blick im Andrang der Schönheit so sehr, dass der Irrtum entstehen kann, ja entstehen muss, diese Schönheit sei das Ganze. Aber wie die "schönen Gärten" die "Jahrzeit sparen", also zeigen dass sich die Schönheit zeitigt, so zeigt die Maske das Zeitigen der Ankunft des Gottes.

In "Brot und Wein" ist Dionysos ein ausdrückliches Thema. Jetzt ist die Zeit des Fehls, der Götternacht. Aber die Nacht verbirgt nicht nur, sie gönnt das Heiligtrunkene:

Aber sie muss uns auch, dass in der zaudernden Weile,    Daß im Finstern für uns einiges Haltbare sei, Uns die Vergessenheit und das Heiligtrunkene gönnen,    Gönnen das strömende Wort, das, wie die Liebenden, sei Schlummerlos, und vollern Pokal und kühneres Leben,    Heilig Gedächtnis auch, wachend zu bleiben bei Nacht.

Die Situation ist ähnlich, wie der Anfang vom Gang aufs Land. Es ist die Zeit der zaudernden Weile. Aber hier ist sie geprägt vom feurig rauschhaften des dionysischen Aufbruchs.

wer .. Möcht es hindern und wer möchte uns die Freude verbieten?    Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen,    Daß wir ein Eigenes suchen, so weit es auch ist.