HôJô Ki - Kunstweg

Kamo no Chômei: Hô Jô Ki

KUNST als WEG

Der Strom des dahinziehenden Flusses nimmt kein Ende, und doch ist es nicht das ursprüngliche Wasser. Die Schaumblasen, die auf dem seichten Wasser schwimmen, vergehen und bilden sich neu, und es gibt kein Beispiel, dass sie für längere Zeit bleiben. Geradeso verhält es sich mit den Menschen und ihren Behausung auf dieser Welt. ... .. Am Morgen gestorben, am Abend geboren, das ist das Schicksal des Menschen – gleich den Schaumblasen auf dem Wasser. Und dieser Mensch, der geboren wird und stirbt, wer weiß schon, woher er kommt, wohin er geht? Und man weiß nicht, um wessen willen sie ihr Herz quälen, weshalb sie ihr Auge sich erfreuen lassen bei ihrem flüchtigen Aufenthalt. Herr und Behausung wetteifern in der Vergänglichkeit nicht anders wie Morgenwinde und Tau.
Einmal fällt der Tau zu Boden und die Blüte bleibt. Selbst wenn ich sage, sie bleibt, so vertrocknet sie doch in der Morgensonne. Einmal verwelkt die Blüte und der Tau zergeht nicht. Selbst, wenn ich sage, er vergeht nicht, so kommt es doch nicht vor, daß er den Abend erwartet.

Mit dieser Klage über die Vergänglichkeit beginnt Kamo no Chômei sein schmales aber gewichtiges Werk Hô-Jô-Ki, die „Aufzeichnungen aus meiner zehn Fuß im Quadrat Hütte“. Die Klage über die Vergänglichkeit, mit der Kamo no Chômei sein kleines Werk beginnt, ist nicht die wehleidige Klage eines enttäuschten alten Mannes. Sie stimmt das buddhistische Grundthema des mujô, der Vergänglichkeit an. Damit ist seine Schrift nicht als eine ästhetische Abhandlung, sondern als eine grundsätzlich buddhistische Schrift zu verstehen. Diese kleine Werk hatte eine ganz wesentliche Wirkung auf die Entwicklung der japanischen Geistesgeschichte – es formte die Idee vom KUNST-WEG als religiöser Übung.
Kamo lebte in einer Zeit der Wirren und der Orientierungslosigkeit. Die Genpei – Kriege, die Kämpfe um die Vorherrschaft im Lande zwischen dem Genji- und dem Heike-Clan verwüsteten das gesamte Land, nicht nur die Städte, sondern auch die ländlichen Provinzen, und alle gesellschaftliche Sicherheiten und Strukturen zerbrachen.
Kamo's Vater war Shintopriester an dem kaiserlichen Shimogamo – Schrein gewesen und Kamo bekam schon mit 7 Jahren einen Hofrang zuerkannt. Er konnte sich ganz der Kunst widmen und wurde Schüler des buddhistischen Priesters Shun'e. Kamo war berühmt für sein Biwa-Spiel und er veröffentlichte Anekdoten und Gedichte. In den Wirren der Zeit zog er sich mehr und mehr in die Einsamkeit zurück, um sich schließlich im ländlich abgeschiedenen Ohara niederzulassen. Dort lebten eine ganze Reihe von ehemaligen Hofadligen und versuchten das Ideal eines buddhistischen Lebens zu verwirklichen. Sie hatten den Hofdienst aufgegeben und Mönchskutten angelegt, ohne aber die weitergehenden Gelübde der Mönche abzulegen. So konnten sie zusammen mit ihren Familien leben und ihre Künste wie Musik oder Waka-Dichtung weiterpflegen. In dieser Tradition des buddhistischen Schülers, des shami (sanskrt.: śrâmanera) entstand die Idee, die Ausübung der Künste als Weg zur Erleuchtung zu praktizieren. Mit sechzig Jahren zog sich Kamo endgültig in die Einsamkeit der Berge zurück, wo er als Einsiedler in einer winzigen Hütte lebte.

Nun habe ich mein sechzigstes Jahr erreicht, und mein Leben scheint dahinzuschwinden wie ein Tautropfen. So habe ich mir noch einmal eine Behausung für die letzten Jahre meines Daseins gebaut gleich einem Wanderer, der sich für eine Nacht einen Unterschlupf herrichtet, gleich einer alternden Seidenraupe, die sich einen Kokon spinnt. ....

Die winzige Behausung, eng wie der Kokon einer Seidenraupe und gerade ausreichend für den flüchtigen Aufenthalt entspricht der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit von allem. In dem berühmten Waka - Gedicht von Fujiwara no Ietaka wird eine solche Hütte in der Einsamkeit am Strand geschildert:
Miwataseba
Hana mo momiji mo
Nakarikeri ura no tomaya no
aki no yûgure
So weit man auch schaut:
weder Kirschblüten noch roten Ahorn gibt es da
bei der flüchtigen Hütte am Strand
in der Abenddämmerung des Herbstes
Die flüchtige Hütte - Toma-ya - ist eine notdürftige Unterkunft für eine Nacht. Hier gibt es weder die prächtigen Kirschblüten, noch den flammend roten Ahorn des Herbstes. Die Farben stehen für die Leidenschaften. Hier aber herrscht die kühle und farblose Nüchternheit der Dämmerung des Herbstabends. Als Prinz Genji nach Suma verbannt worden war, wohnte er in einer solchen Hütte:

In Suma hatten früher einmal ein paar Wohnhäuser gestanden; aber nun war es eine einsame, menschenleere Gegend, sogar Fischerhütten gab es nur wenige. ... mitten in den schönen und doch einsamen Bergen, und nicht allzu weit vom Strand entfernt. ... Noch nie hatte er eine solche Wohnstätte gesehen. ... die Hütte mit ihrem Strohdach und den weit ausladenden, mit Binsengeflecht gedeckten Giebel dünkte ihn der außergewöhnlichste Wohnsitz. .. „Hier in der Einsamkeit zu leben, wo alles so anders war, als in der Hauptstadt ... hätte wohl seinen Reiz, wenn ich nur aus freien Stücken gekommen wäre.“ ...In Suma hatte nun der Herbstwind eingesetzt, der wie immer ganz besonders traurig stimmte. Genjis Haus stand zwar ein wenig vom Strand entfernt, aber Nacht für Nacht vernahm er die durch den Wind, von dem Yukihira einst gedichtet hat, er 'wehte über den Paß' herangetriebenen Wellen. Der Herbst an diesem Ort ging wahrhaftig unvergleichlich tief zu Herzen.
    Des Reisenden Ärmel / sind nun schon sehr kühl geworden.
    Kalt weht der Strandwind von / Suma über den Paß.

In dieser Schilderung aus dem Genji monogatari wird deutlich, dass die einsame Hütte, die „toma-ya“, die Unterkunft für eine Nacht, im Kontrast zur Pracht des Palastes steht. Dort gibt es die prächtigen Kirschblüten oder im Herbst den leuchtenden Ahorn. Hier ist es kühl und verhalten. Es ist der Ort des Erwachens von einem Traum, dem Traum der uns in leuchtender Farbenpracht die Verlockungen des Lebens vorgaukelt. Schon des IROHA, das japanische „Alphabet“, in dem die fünfzig Laute der Silbenschrift angeordnet sind, stimmt dieses Thema an:
I ro ha ni ho he to chi ri nu ru (w)o
Wa ka yo ta re so tu ne na ra mu u
(w)i no o ku ya ma ke fu ko e te a
sa ki yu me mi si (w)e hi mo se su
Die Farben sind noch frisch, doch sind die Blätter, ach,
schon abgefallen!
Wer denn in unserer Welt wird unvergänglich sein?
Die Berge fernab von den Wechselfällen (des Lebens)
heute überschreitend,
Werde ich keinen seichten Traum mehr träumen,
bin auch nicht berauscht.
Die flüchtig gebaute Hütte für die letzten Lebenstage von Kamo no Chômei ist der Ort der Befreiung von den Illusionen und den Leidenschaften des Lebens, er ist hinübergegangen über den Pass in das Reine Land.

Ich hatte mir niemals Gedanken über den Ort gemacht, an dem ich meinen Lebensabend verbringen würde, und hatte daher dieses Stück Land nicht langfristig vorher erstanden und herrichten lassen. So häufte ich also zunächst Erde für das Fundament an. Das Dach deckte ich mit Reisstroh, die Fugen der Balken befestigte ich mit Krampen. Sollte mir hier etwas mißfallen, so könnte ich jederzeit umziehen. Was sollte es schon für eine Mühe sein, diese Hütte wieder aufzubauen?

Als der Haikudichter Bashô in der Einsamkeit der abgeschiedenen Berge unterwegs ist, trifft er auf die Hütte, die sich einst sein alter Zen-Lehrer Butchô gebaut hatte. Hatte er sich etwa Kamo zum Vorbild genommen? Butchô hatte diese Hütte nicht als komfortable Unterkunft gebaut, dazu ist der Aufenthalt viel zu flüchtig. An die Wand der Hütte hatte er mit einem verkohlten Holzstück geschrieben:
Tateyoko no
Goshaku ni taranu
Kusa no io
Musubu mo kuyashi
Ame nakeriseba
In Länge und Breite
mißt diese Grashütte kaum
fünf Fuß! – Hätte ich mich
abgemüht, sie zu errichten,
wenn es den Regen nicht gäbe?
Kamo's Hütte ist ebenfalls sehr klein, gerade so groß „wie der Kokon einer Seidenraupe“. Eine Seidenraupe spinnt sich in ihren Kokon ein, um dort in der Abgeschiedenheit ihre Verwandlung vorzubereiten. Nach einer Zeit der Stille im Inneren des Kokon wird die Raupe ihre Behausung in verwandelter Form als Schmetterling wieder verlassen. Auch Kamo sieht diese Hütte als einen Ort der Verwandlung. Schon die Größenangabe lässt stutzig werden:

Die Beschaffenheit meiner Hütte ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Sie hat nur eine Fläche von 10 Fuß im Quadrat und ihre Höhe errreicht nicht einmal sieben Fuß.

Die Flächenangabe von zehn Fuß im Quadrat (Hô-Jô) ergibt auch den Titel von Kamo's kleiner Schrift: Hô-Jô-Ki (Aufzeichnungen – Ki - aus dem Hô-Jô). Dieses Flächenmaß ist nicht zufällig. In der chinesischen Mythologie gibt es genau mitten im Ostmeer eine Insel Fang-Chang. Sie misst genau 5000 Meilen im Quadrat. Alle Götter müssen auf diese Insel, auf der es Bäume aus Lapislazuli und Paläste aus Jade gibt, um dort ihre „Uranfangs – Lebensurkunde“ zu empfangen. Die japanische Aussprache des Namens der Insel Fang Chang ist Hô-Jô. Es ist der Urgrund und Anfang des eigentlichen Lebens. Die Ursprungs – Lebensanfangs Insel spiegelt sich im Herzen der Menschen und ist dort genau 10 Fuß im Quadrat.
Im I Ging, dem Buch der Wandlungen gibt es den Begriff des T'ien shien. Richard Wilhelm hat T'tien shien als „früher Himmel“ übersetzt aber es ist wörtlich das „Himmel - Herz “. Es ist der Zustand der Welt, bevor die 10000 Dinge die ursprüngliche Ordnung aus dem Gleichgewicht bringen können. Kehrt der Mensch in den Ursprung, das „Herz des Himmels“ zurück, so spiegelt sich dieses Himmelsherz in seinem Herzen, das hier „10 Fuß“ im Quadrat mißt.

Es gibt auch eine wichtige buddhistische Bedeutung des Flächenmaßes Hô-Jô. Vimalakirti, einer der Anhänger Buddhas war Kaufmann. Er zog sich für eine gewisse Zeit aus dem tätigen Leben zurück um sich seinen Meditationsübungen in einer „10 Fuß im Quadrat“ Klause hinzugeben. Nachdem er völlige Befreiung erlangt hatte, kehrte er wieder als Kaufmann in das tätige Leben zurück. Vimalakirti ist das Vorbild für den tätigen Menschen, der mitten in seinen Alltagspflichten seine Befreiung lebt. Das Hô-Jô ist der Ort der Rückkehr in den Ursprung, in dem der Mensch verwandelt und ursprünglich geworden, wieder in das eigentliche Leben zurückkehren kann. Kamo hatte sich ausdrücklich Vimalakirti und seine 10 Fuß-Quadrat Hütte zum Vorbild genommen. Vielleicht wollte er ursprünglich wie Vimalakirti nach einer Zeit der Übungen wieder zurück in das tätige leben gehen.

In den Zenklöstern bezeichnet man die Abtwohnung, den Hon-Dô oder Kyakuden, Halle des Gastes aber auch als Hô-Jô. Hier empfängt der Rôshi seine Gäste, um sie wieder an den Ort ihres Ursprunges zurück zu geleiten.

Im Teeweg wird Hô-Jô und Kamô's Hütte im Teeraum widergespiegelt. Der ideale Teeraum hat eine Grundfläche von 4 ½ Tatami, das entspricht ziemlich genau den Hô-Jô.

Kamo no Chômei hatte sich seine zehn Fuß im Quadrat Hütte nicht nur als Unterschlupf gebaut. Sie ist der Ort der Rückkehr in den Ursprung. Aber um wieder in den Ursprungsort zurückkehren zu können, bedarf es für den Menschen erheblicher Anstrengungen. Kamo no Chômei vollzog in seiner Hütte auch seine Übungen. Aber es waren nicht nur rein religiöse Übungen. Seine religiösen Übungen treten sogar gegenüber einem Leben im Kloster fast in den Hintergrund.

"Zum Norden hin habe ich das Innere der Hütte mit einem Wandschirm unterteilt, dahinter ein Bildnis des Amida Buddha aufgehängt und daneben eines des Boddhisattva Fugen. Davor habe ich das Lotossutra gelegt. ... Zum Südwesten hin habe ich mir ein einfaches Bambusregal aufgestellt, in dem ich drei schwarze Lederkörbe verwahre. Sie enthalten Abschriften von Werken zur japanischen Poesie und Musik sowie Auszüge aus religiösen Schriften. .. Daneben stellte ich meine Koto und meine Biwa."

Wichtiger noch als die religiösen Schriften sind Kamo seine Schriften über Musik und Literatur und seine Musikinstrumente, die er später ausführlich beschreibt. Er hat drei Körbe aufgestellt, einen mit religiösen Schriften und zwei mit Schriften zur Kunst. Jetzt, im Zeitalter des Mappô, des Unterganges des ursprünglichen buddhistischen Gesetzes sind ihm seine Übungen der Kunst wichtiger als Weg zur Befreiung als die eigentlich religiösen Übungen.

Macht mir das Rezitieren des Nembutsu Mühe oder will es mir nicht gelingen, mich in die Sutren zu vertiefen, so kann ich, ganz wie es mir gefällt, ruhen, ganz wie es mir gefällt faulenzen. Obwohl ich keine besondere Anstrengung zur Übung des Schweigens unternehme, macht es mir das Alleinsein leicht, schlechtes Karma, das durch Reden entsteht, zu vermeiden. Desgleichen bemühe ich mich nicht besonders, die Gebote eines Mönches einzuhalten, doch was könnte mich in dieser Umgebung, wo es keine Versuchungen gibt, schon verleiten, sie zu brechen.

Die neuartigen Übungen, die Kamo no Chômei vollzieht, sind ihm wichtiger als das strenge Einhalten der Klosterregeln. Sie werden ihm zum eigentlichen Weg der Befreiung.

An Morgen, wenn die Spanne des Daseins so kurzlebig erscheint, wie die weiße Wellenspur eines Kahnes, schaue ich gen Okayama auf das Kommen und Gehen der Kähne und lasse mich von diesem poetischen Bild des Mönchs Kansei zu eigenen Gedichten inspirieren. An Abenden, wenn der Wind die Blätter des Katsura-Baumes zum Singen bringt, erinnere ich mich an die Geschichte vom Fluß Xinyang, wo einst Po Chü-i sein Lautenlied schrieb und spiele meine Biwa im Stil der Schule des Minamoto no Tsunenobu. Wenn ich noch Muße habe, stimme ich meine Koto nach dem Klang der Kiefernnadeln und spiele das Lied des Herbstwindes oder zupfe zum Tönen des Wassers auf meiner Biwa die Melodie des Fließenden Quell.

Kamo no Chômei lauscht auf die Natur und spielt Melodien, die der jeweiligen Naturstimmung entsprechen. Er stimmt seine Instrumente nach dem Geräusch der Kiefernnadeln, er verfasst Gedichte, in denen er die Landschaft und Natur schildert. Dabei verlässt er sich aber nicht nur auf sein eigenes Gesicht oder Gehör. Er schreibt Gedichte, angeregt von den klassischen Malereien, er spielt tradierte Melodien auf seinen Instrumenten. Er lebt zwar völlig im Einklang mit der Natur, aber er sieht und erlebt alles in der Rückbindung an die Tradition. Sogar seine Gedichte, die er schreibt entstehen, indem er sich an der Malerei des Mönches Kansei orientiert. So lebt er zwar allein in seiner Hütte, aber er ist eingebunden in eine reiche Geschichte. So erlebt er auch die Landschaft, die ihn umgibt in einer ganz eigenen Weise:

Wald umgibt meine Klause, ...Schlinggewächse verbergen die Pfade und die Täler sind dicht bewachsen.

Han-Shan, der unbekannte chinesische Dichter aus dem 7. Jhd., der im Zen sehr verehrt wird, schildert seinen Aufenthaltsort ähnlich verborgen:

Der Ort, wo meine Tage ich verbringe,
Ist unsagbar verborgen und geheimnisvoll (Myô Shin An).
Kein Wind - von selbst rascheln die Schlingpflanzen
Kein Nebel - im Bambushain bleibt es immer dunkel.
Was ist es, das den Wildbach glucksen läßt?
Ganz von allein quellen die Wolken am Berg.
Am Mittag SITZEND in meiner Berghütte,
Da erst erkannte ich der Sonne vollen Glanz!

So lebt er scheinbar in völliger Abgeschiedenheit, verborgen mitten in den undurchdringlichen Schlinggewächsen, dem Rankengewirr, das den Weg zu ihm versperrt. Hier, in dieser Dunkelheit und Abgeschiedenheit, nicht im lauten Getriebe der Welt, ist der Ort, in dem "der Glanz der Sonne" erkannt wird. Kamo schildert die Landschaft vor seiner Hütte:

Zum Westen öffnet sich das Tal jedoch in eine Lichtung (und) öffnet die Gelegenheit zur Kontemplation über das Reine Land im Westen, Amidas Paradies. Im Frühjahr blicke ich auf Wogen von Glyzinien. Violetten Wolken gleich erstrahlen sie im Westen. Im Sommer lausche ich dem Ruf des Kuckucks, der mir verspricht, mich auf der Straße des Todes zu leiten. Im Herbst füllen die Stimmen der Zikaden mein Ohr. Sie scheinen die leere Hülle dieser Welt zu beklagen. Im Winter betrachte ich voller Mitgefühl den Schnee; wie er sich anhäuft und dahin schmilzt, lässt er sich wohl vergleichen mit den Vergehen, die der Mensch begeht und die durch Buße wieder schwinden.

Die Landschaft ist eine geistige Landschaft. Jede der vier Jahreszeiten zeigt ihm auf besondere Weise die Lehren des Buddhismus. Im Frühjahr, wenn die Glyzinienblüten die Berge überziehen ist es, als würde Amida-Buddha selbst kommen. Wenn er erscheint, erfüllen violette Wolken den Himmel. Er kommt auf dieser Wolke, um den Einsiedler oder den Sterbenden heimzuholen in das Reine Land. Für Kamo wird seine Bergeinsiedelei selbst zum reinen Land des Amida.
Aber die Verwirklichung des reinen Landes geschieht nicht so sehr durch die religiösen Übungen, die fast schon in den Hintergrund treten. Allein seine Beschäftigung mit der Kunst, seine Dichtung und sein Musizieren bringen ihn in das Reine Land. Er lebt zwar scheinbar völlig zurückgezogen und einsam aber sein Werk, dass er in den 10 Fuß-Quadrat seiner Hütte geschrieben hat, hat bis heute überdauert und stilbildend gewirkt.

Kamo scheint weitab und fern der Menschen in Einsamkeit zu leben. Aber am Fuße des Berges lebt ein Waldhüter in seiner Hütte. Dessen 10 jähriger Sohn kommt oft und besucht Kamo. Dann ziehen sie sorglos wie Kinder durch die Berge, sammeln Pflanzen, Blumen und Früchte, um sie Buddha darzubringen oder sie besuchen versteckte Tempel in den Bergen. Manchmal wandern sie zu der verfallenen Hütte von Semimaru, einem Sohn des Kaisers Daigo, der als blinder Einsiedler in den Bergen lebte und für sein wunderbares Biwa-Spiel berühmt war. So gibt Kamo spielerisch und scheinbar ohne Absicht sein Wissen und seinen Frieden an das Kind weiter.

Oft gedenkt er auch der Freunde in der Ferne. Ganz schlicht und einfach, ohne Kunst schreibt er einen Text, der aus Tiefe seiner Erlösung spricht:

"Manchmal, einsam im Schweigen der Nacht, betrachte ich den Mond von meinem Fenster und sehne mich nach den Freunden von einst. Und beim Schrei der Affen nach ihren Gefährten benetze ich meine Ärmel mit Tränen. Das Blinken der Glühwürmchen in den Sträuchern verwechsle ich mit den Fackeln der Fischerboote im fernen Makinoshima. Und das Rauschen des Regens in der Morgendämmerung klingt gleichsam wie der Herbststurm, der durch die Blätter fährt. Höre ich den Fasan kollern, frage ich mich: Gilt’s dem Vater? Gilt’s der Mutter? Und daran, wie die Hirsche vom Gipfel sich an meine Nähe gewöhnt haben, erkenne ich, wie weit von der Welt ich mich entfernt habe.... Wenn ich wieder einmal in der Mitte der Nacht erwache, schüre ich das unter der Asche begrabene Feuer und mache es zum Gefährten der Schlaflosigkeit des alten Mannes. Dies ist kein schauriger Berg, so dass selbst der unheimliche Schrei der Eule mein Mitgefühl erregt. Die Ansichten des Berges, sich wandelnd mit jeder Jahreszeit, sind mir unerschöpflicher Reiz. Wie viel mehr noch müssen sie einem Menschen von tiefer Empfindung und erhabener Einsicht bedeuten!"

Kamo lebt in den Hô Jô seiner Hütte ohne Ehrgeiz und ohne Sorge um Anerkennung und Verdienst ganz seiner Kunst und macht sie zu seinem Weg der Befreiung vom Leiden.

Die drei Welten existieren allein im Herzen. Ist das Herz nicht im Frieden, so nützen weder Elefanten, Pferde oder die sieben wunderbaren Schätze, noch ist der Besitz von Palästen oder Turmbauten von Bedeutung. Jetzt liebe ich von ganzem Herzen diese einsame Klause, auch wenn sie nur eine einfache Hütte ist.

In seinen jungen Jahren war Kamo no Chômei für sein wunderbares Biwa-Spiel berühmt. Aber jetzt spielt er nicht mehr, um Anderen zu gefallen oder um Anerkennung, Ruhm oder Reichtum zu erlangen. Sein Spiel ist rein und selbstvergessen, ohne jedes Haschen nach Effekten und dient nur noch dazu, sein Herz zu reinigen. Voller Bescheidenheit schreibt er:

Zwar ist mein Spiel eher ungeschickt, doch ich musiziere nicht, um andere zu unterhalten. Ich spiele allein, ich singe allein, und dies dient lediglich der Reinigung und Erquickung meines Herzens.

Scheinbar hat er in dieser Selbstvergessenheit die vollkommene Befreiung erlangt. Aber er hängt an seinem Einsiedlerleben und den Freuden, die ihm seine Kunstausübung gewährt, auch wenn er damit keinerlei Reichtum, Ehre oder Ansehen gewinnt. So endet Kamo seine kleine Schrift mit einer Selbstkritik.

Mein Leben neigt sich nun gleich dem Mond am Nachthimmel, nur wenig noch und er wird hinter dem Rand der Berge verschwinden. ... Die Essenz der Lehre Buddhas ist: Was immer du tust, an nichts hänge dein Herz. Und so wird es mir wohl zum Fehler, dass ich meine Hütte liebe. Und es mag mir auch zum Hindernis für das Erwachen werden, dass ich an meinem Einsiedlerleben hänge. Wie kann ich nur diese letzte kostbare Zeit damit verbringen, von unbedeutenden Freuden zu erzählen. ... Deine Hütte entehrt das Andenken des Vimalakirti, dessen Klause sie nachempfunden ist. ... Mein Herz weiß keine Antwort. Und so setzt sich meine Zunge in Bewegung und ich begnüge mich damit, ohne jede Absicht oder Zweck den Namen Amida Buddhas zwei dreimal zu singen.
Niedergeschrieben vom shami Ren'in am letzten Tag des dritten Monats im zweiten Jahr des Kenryaku (1212) in seiner Hütte auf dem Berg Tôyama.

Kamo no Chômei lebte im 12. Jahrhundert. Das ist nun schon lange her. Wir leben wieder in einer Zeit des Umbruches. Zum Klang des Bergbaches spielen wir mit der Shakuhachi Takiochi nach der Tradition des Ichôken. Wenn die Sterne des Nachts am Himmel stehen, erklingt Koku. Denken wir an den Berg im Nordosten unserer Hütte, so wir lassen den Drachen sein Lied singen. Am kleinen Teich im Gestrüpp im Südwesten spielen wir das Lied vom Tiger. Betrachten wir die Weite des Tales im Süden, so lassen wir mit der Shakuhachi den Phönix erklingen. Von fern klingt die Glocke Fukes. Wir lesen die klassischen Schriften und denken an Kamo, wie an einen fernen Freund. Mit Freunden in Korea, Japan oder Amerika diskutieren wir über über das Internet über den Tee von Murata Juko, Take no Jôo oder Rikyû. In unserem 10 Fuß - Quadrat großen Teeraum erfreuen wir uns am Singen des Teekessels und teilen mit Freunden ohne jede Absicht eine Schale Tee.
Zwar ist mein Spiel der Shakuhachi eher ungeschickt, doch ich musiziere nicht, um andere zu unterhalten. Ich spiele allein, ich trinke Tee mit Freunden, und dies dient lediglich der Reinigung und Erquickung meines Herzens. Hoffentlich wird es nicht zum Hindernis, dass wir dieses Leben lieben!


Anmerkungen:

Die drei Welten: Skrt.: Trailoka oder Triloka sind die Welt der sinnlichen Begierden, der Form und die formlose Welt des reinen Bewußtseins. Die drei Welten oder Sphären sind:
1. Kâmaloka - hier herrschen die Begierden
2. Rûpaloka - Begierdelosigkeit
3. Arûpaloka - die reine Welt des körperlosen Geistes. Im Buddhismus der Ort des Nirvana Buddhas
zurück Ichôken: Der Ichôken ist ein kleiner Subtempel des Sofukuji in Kyûshu. Dort wird heute noch die alte Tradition der Komusô gepflegt und weitergegeben. Die Komusô waren Bettelmönche, die mit ihrer Shakuhachi durch das Land zogen und bettelten. Das Shakuhachi-Spiel ist ihre Form der religiösen Übung. Als Urvater der Komusô gilt der Zen-Meister Fuke, von dem es nur ein paar kleine Geschichten im Linji-Roku. Fuke (chin: P'u Hua) schlägt auf dem Markt die Glocke um die Menschen an ihre Vergänglichkeit zu erinnern. Zulezt legt er sich in einen Sarg und verschwindet, aber seine Glocke klingt weiter. Die Geschichte sagt, dass Fuke sein Selbt abgelegt hat und so verschwindet. Ein wichtiges Stück der Kumoso - Shin Seki, die Wahre Spur - schildert diese Begebenheit.
Die genannten Stücke aus der Ichôken - Tradition:
Takiôchi: Regen fällt, ein kleiner Bach bildet sich. Er wird immer stärker, stürzt als Wasserfall in die Tiefe und verschwindet schließlich in der unendlichen Weite des Meeres.
Kôku: Der leere Himmel
Ryu gin: Der Gesang des Drachen
Ko Sho koku: Melodie des Tigers
Hô kyo koku: Melodie des Phönix
Im Feng shui stehen die drei Tiere Drachen, Tieger und Phönix für die Richtungen Nordosten, Südwesten und Süden. Im Nordosten ist der Berg, der auch der Hôraisan, der Götter - Weltursprungsberg sein kann. Dort wohnen die Drachen. Von dort nimmt ein Fluss seinen Lauf, der die Glücksgüter von den Göttern auf dem Schatzschiff in den südwesten bringt, wo im Gesträuch der Tiger lebt. Der freie Blick in die Weite im Süden gehört zum Vogel Phönix. Wenn sich der Phönix auf der Erde niederläßt, verwandelt sich diese Welt und wird zum Paradies, z.B. zum Reinen Land des Amida.

Die daoistischen Trockenlandschaftgärten Chinas, die von den Zenmeistern Japans kopiert wurden, gestalten diese ideale Landschaft mit Steinen und Kies. Ein vollendetes Beispiel ist der Garten des Daisen-In im Daitôkuji. Der Hondô, bzw der HôJô ist von einem solchen Garten umgeben.
Das Teehaus Myôshin An in Oberrüsselbach liegt in einer Landschaft, die genau dieser Struktur entspricht. zurück


zurück  |  Übersicht  |  home