WAGASHI

Sen Tomiko Sama Sen Tomiko (1930 - 1999), die Frau des Großmeisters Sen Sôshitsu XV hat ein Buch geschrieben, in dem sie ihre Erfahrungen und Erlebnisse im Umgang mit den Teesüßigkeiten beschreibt.
Sen Tomiko hat ihr ganzes Leben dem Teeweg gewidmet. In der Einleitung zu ihrem Buch, die hier erstmalig in einer deutschen Übersetzung erscheint, wird deutlich, dass Sen Tomiko jeden Augenblick des Lebens mit allen Sinnen wahrgenommen hat und dass jede noch so geringe Kleinigkeit eine große Bedeutung gewinnt. Mit großem ästhetischen Einfühlungsvermögen und einem feinen poetischen Sinn, der ihr ganzes Leben geprägt hat, gibt sie einen Einblick in eine fremde Welt, in der eine einfache Süßigkeit, die zum Tee gereicht wird eine Welt voller Poesie eröffnet.

Wagashi, wie Sen Tomiko schreibt, sind japanische Süßigkeiten, die erst in der Edo - Zeit entstanden sind. Vorher war die Herstellung von Zucker in Japan unbekannt. Rikyu servierte noch einfache Kastanien als "kashi" - Süßigkeit. Im Teeweg ist es üblich, eine höfliche Sprachform zu wählen. Der Ehrfurchtpartikel "O" wird vorangestellt und man spricht von "Okashi". "Wa-gashi", japanische Süßigkeit sind geprägt von der Eleganz der Edozeit. Besonders in der alten Hauptstadt Kyôto wird die Schönheit und Eleganz der wagashi ganz besonders gepflegt. Sen Tomiko spricht in ihrem Buch nicht über wagashi im Allgemeinen. Sie spricht nur über die Tradition bei der Urasenke. Anderswo werden zu den verschiedenen Gelegenheiten andere kashi in einem anderen Stil serviert. Sie gibt auch keine Rezepte für die Herstellung der kashi. Dafür ist ihr Respekt vor den Meistern dieser Kunst viel zu groß.


Die Urasenke Tradition der Wagashi
Sen Tomiko

Der Zauber, den japanische Süßigkeiten ausstrahlen, würde weitgehend verloren gehen, wollte man sie losgelöst vom Teeweg betrachten. Die Herstellung der Süßigkeiten, die Vollkommenheit ihrer Form, der Geschmack sind sicher die selben, aber es wurde mir so oft bewusst, das einzig und allein der kulturelle Kontext des Teeweges sie zum Leben erweckt. Vielleicht ist ja "Leben" eine Übertreibung, aber ich kenne andere, die eine ähnliche Leidenschaft wie ich für diese frisch gemachten Süßigkeiten empfinden. Diese Freude ist nur vergleichbar mit dem Genuss, den eine Schale mit eben geschlagenem Tee bereiten kann.

Namen für die Süßigkeiten wie "schimmernder Dunst", "duftender Hauch", "erfrischende Kühle", "zarte Raureif" geben eine genaue Vorstellung von den der vier Jahreszeiten in Japan. Oft wurde behauptet, die Japaner hätten ihre Achtsamkeit und Verehrung für den feinen Wechsel im Zyklus der Natur längst verloren. In der Hektik und Zielgerichtetheit des Alltags hätten sie vergessen, diesen natürlichen Fluss des Lebens zuzulassen und bewusst zu erleben. Aber diejenigen, die sich das Wissen um diesen steten Wandels bewahrt haben, streben danach, im Teeweg die Schönheit dieses Wandels zu genießen.

Jedes Land hat seine eigene Kultur, seine eigenen Traditionen. Obwohl selten ausdrücklich über den Sinn dieser Traditionen gesprochen wird, leben sie weiter, überliefert von Person zu Person, von Generation zu Generation. Ebenso wird der Teeweg als eine Tradition weitergegeben, so einfach und natürlich wie der eigene, persönliche Lebensstil.

Bei aller Verschiedenheit der Menschen ist der Geist der Dankbarkeit für jeden neuen Tag im Leben und die Kommunikation mit anderen naturgegeben. Eine Möglichkeit, diese Dankbarkeit auszudrücken ist, so glaube ich, der Teeweg.
Ein Zen-Spruch sagt: "shaza kissa" - "Setz dich - trink Tee." In dieser Geisteshaltung werden die servierten Süßigkeiten zu einer unvergesslichen Köstlichkeit. Schlagartig wird uns klar, dass wir wirklich leben, und wir erkennen die Flüchtigkeit des Augenblicks.

Es gibt eine Unzahl von Wagashi - Machern in Japan, die eine unglaubliche Fülle von verschiedensten Süßigkeiten herstellen. Darum ist es unmöglich, feste Regeln aufzustellen, welche Süßigkeiten man servieren sollte und wie man sie serviert. Dem Wesen des Teewegs folgend wählt man die für diese Gelegenheit passende Süßigkeiten aus und serviert sie so, wie es der besonderen Situation entspricht. Damit gewinnt die Süßigkeit eine ganz besondere Einmaligkeit.

Wie in den meisten Disziplinen im Teeweg gibt es heute auch sehr viele Experten für das Essen und für die Süßigkeiten. Es wäre anmaßend von mir, mit ihnen zu konkurrieren. Daher versuche ich in dieser Abhandlung, die Gefühle und Empfindungen zu vermitteln, die meine Sinne und mein Herz berühren, wenn ich die Wagashi im Stil der Urasenke in den vier Jahreszeiten serviere und sehe, welches Vergnügen sie bereiten.
Was man isst und zu welcher Zeit, ist selbstverständlich eine ganz persönliche Angelegenheit. Aber in der alten Hauptstadt Kyoto genießen wir die unterschiedlichsten Speisen, die der jeweiligen Jahreszeit entsprechen. Der Wechsel der Jahreszeiten würde uns nicht so stark bewusst werden, wenn sich das Essen nicht mit ihnen völlig verändern würde. Die alte Tradition entwickelte sich über viele Jahrhunderte und bezog eine Vielzahl von Gemüse und Früchten mit ein. Aber mir scheint, sie gipfelt in der Kultur der Süßigkeiten, die im Laufe der Zeit eine große Bedeutung in der alten Hauptstadt gewonnen hat.

In der Tiefe des Winters brachte uns einmal ein berühmter Wagashi-Macher ein sehr dünnes mizu yokan. Diese Süßigkeit wird mit eiskaltem Wasser, pürierten Azuki - Bohnen und Agar-Agar hergestellt. Sie kann ausschließlich in der kältesten Zeit des Jahres gemacht werden, da man dazu Wasser benötigt, das so kalt ist, dass darin die Fingerspitzen förmlich gefrieren. Aber dieses Jahr war wärmer als üblich, deshalb war es eigentlich nicht möglich, diese Süßigkeit herzustellen.
Es heißt, das Wasser, das während der kältesten Tage im Jahr geschöpft wurde, sei unbegrenzt haltbar. Daher gibt es bei der Urasenke eine alte Tradition, eine große Flasche von diesem Wasser im Lagerhaus aufzubewahren.
Vielleicht entstammt ja beides, sowohl die dünnen mizu yokan als auch die Aufbewahrung des Eiswassers, der selben Idee.

Halten wir kurz inne. Der März ist eng mit dem Puppen-Fest verknüpft. Wir feiern dieses Fest im dritten Monat - heute also nach dem gregorianische Kalender im März. Allerdings gehen dadurch, dass wir diese Feste nicht mehr nach dem alten Mondkalender feiern, die traditionellen Jahreszeiten-Aspekte verloren. Das ist bei allen fünf Festen, die auf dem alten Mondkalender basieren der Fall. Natürlich können wir nicht mehr nach dem alten Kalender leben, aber ich würde gerne etwas von der belebenden Freude vermitteln, die die ersten Monate des Frühlings bringen. Sie sind erfüllt von neuem Leben und sie bringen dieses Leben wieder zu uns und in die ganze Welt.

  • Um im Februar die durchdringende Kälte abzuwehren, benützen wir den Dairo, eine große Feuerstelle.
  • Im März, ist der Teekessel über der Feuerstelle aufgehängt und wiegt sich im Erwachen der ersten Frühlingsbrise.
  • Im April ruht der Kessel auf zwei schmalen hölzernen Stückchen sukigi, die am Rande der Feuerstelle aufliegen. So kann das Feuer das Wasser erhitzen, ohne dabei gleichzeitig den Raum zu sehr zu erwärmen.
So spiegeln die feinen Veränderungen im Chanoyu den allmählichen Wechsel der Natur. Sie schenken uns eine Freuden die unvergleichlich ist, aber immer still und zurückhaltend.

"Die volle Blüte des Frühlings
im ganzen Land zu erleben,
ist der Güte unseres Herrn zu verdanken."

Dieser Vers aus dem Noh-Stück Seiobo spiegelt die reine Freude, die das Erblühen von Himmel und Erde hervorruft - das Herz geht auf bei der Ankunft des Frühlings. Hanagoromo
Bei der Urasenke wird im Yayoi, so der poetische Name des März, eine äußerst elegante Süßigkeit namens Hanagoromo- Blumen - Kleid serviert.
Eine köstliche Azuki - Bohnenfüllung ist zart umgeben von einer zart rosa Hülle aus konashi-Bohnen.
Das Bild einer zarten Kirschblüte ist wie ein Hauch eingedrückt und schmückt diese Süßigkeit. Als ich diese einzelne Blüte sah, füllte sich mein Herz mit einem sanftem Verlangen nach der Zartheit der echten Kirschblüten, die gerade jetzt draußen blühten. Die Azuki-Füllung kann entweder vollständig püriert sein, sie kann aber auch ein paar ganze Bohnen enthalten. Aber der Farbton des zarten Rosa, ähnlich dem Ärmel eines Kimono, der leicht von einer Frühlingsbrise aufgebauscht wird, ändert sich nie. Der delikate Geschmack kann noch gesteigert werden, wenn die Umhüllung eine Spur süßer ist, als die Azuki-Füllung. Aber das ist nur möglich, wenn die Füllung aus Bohnen hoher Qualität aus Tamba hergestellt wurde. Der Grad der Süße ist genau dem Tee angemessen, den man in diesem Monat serviert, wenn der warme Frühling offensichtlich nah ist. Der Wagashi-Macher, der dieser Süßigkeiten geschaffen hat, ist der Inhaber des Suetomi-Süßigkeiten Ladens in Kyoto. Ich schätze seine aufrichtige Meinung und bin dankbar für die Übereinstimmung mit ihm.

Hichigiri Während des Puppen-Festes wird Hichigiri,(runde,Mochis mit Azuki-Füllung) - eine hinreißende Süßigkeit - zusammen mit speziellen Reiskeksen (Arare) serviert.
Aber diese Süßigkeiten zu servieren ist ebenso wie das wie Zeigen der Puppen nur an einen einzigen Zeitpunkt des Jahres angebracht. Zu jeder anderen Zeit würde es nur kitschig erscheinen.
Gegen Ende März ähneln die Süßigkeiten - (Natane Kinton) - die gewöhnlich zum Tee serviert werden, den gelben Raps-Blüten. Weil aber die Raps-Blüte bei der Urasenke vor dem Gedenktee für Rikyu nicht als Tee-Blume verwendet wird, wird hier auch diese Süßigkeit nicht serviert.
Kaizukushi Higashi, trockene Süßigkeiten dieser Saison, sind oft in den verschiedenen Arten von Muscheln und Korallen geformt, die man bei Ebbe am Strand findet. Bunt in der Vielzahl ihrer Farben, werden sie Kaizukusbi genannt. Diejenigen, die von Kameya lori gemacht werden, schmelzen so sanft im Mund, und zeugen vom großen Können des Meisters und von der hohen Qualität dieser Süßigkeiten.
Andere trockene Süßigkeiten sind Ao ni Yoshi aus Nara. Sie sind rechteckig, etwa zwei Millimeter dick und ziemlich groß für trockene Süßigkeiten. Ihre hinreißende Farbe von zartem Grün oder blassem Rosa reflektiert die Schönheit des poetischen Namens aus der Gedichtsammlung Manyoshu (729A.D.), der Stimme des japanischen Altertums. Ihr Geschmack wird förmlich gekrönt durch eine Schale Tee - der Gipfel höchster Befriedigung.

An einem frühen Frühlingsmorgen, wenn ich wirklich dankbar bin zu leben, ist es wunderbar, eine Schale Tee mit seiner grünen Frische zu genießen, serviert in einer bescheidenen Kiyomizu-Schale mit dem Design eines fließenden Baches und jungen Grases.
Oiemoto, Wakasosho, seine Frau und sein Sohn Akifumi, Izumi, seine Frau und deren Sohn Koichiro und die Nayas, alle erfreuen sich am Tee in einem Haus, in dem die Tradition seit dem Altertum lebt im Geiste all der Generationen vergangener und hochverehrte Teemeister.


Übersetzung: Carolin Höhn-Domin, Gerhardt Staufenbiel

zurück