Warum? !

Warum? Heute jährt sich der Todestag von YOSHINORI KAWASAKI SOSOKU GYOTEI zum fünften mal.

Er war der erste Teemeister in Deutschland. 1972 kam er zur Olympiade nach München, um hier die Teezeremonie vorzuführen. Er blieb mehr als 10 Jahre. In dieser Zeit war er uns nicht nur ein hervorragender und unglaublich engagierter Teelehrer. Zugleich war er auch ein guter Freund. Wir hatten ihn alle ins Herz geschlossen. Seine Teezeremonie war würdig und ergreifend. Im Unterricht war er ehrfurchtgebietend aber liebevoll, privat konnte er ausgelassen fröhlich sein wie ein Kind. Er hat gerne in Deutschland im Kreise seiner Schüler gelebt. Seine Krankheit hat ihn 1984 zum Weggang aus Deutschland gezwungen. Trotz seiner Krankheit, die ihn mit einer wehmütigen Stille umgeben hat, war der Teeweg immer die Mitte seines Lebens. Nach langen Jahre stillen Leidens ist er am 28. August 2002 gestorben. Wir werden ihn niemals vergessen.
Jedes Jahr an seinem Todestag teilen wir eine Schale Tee in seinem Gedenken.
Wir werden auch heute eine kleine Zeremonie zu seinem Gedenken abhalten. Wir werden einen Opfertee zubereiten, ich werde für ihn Tamuke auf der Shakuhachi spielen und ein kleines Essen zu seinem Gedenken teilen.

Yoshinori Kawasaki war mein erster und in gewisser Weise mein einziger Lehrer im Teeweg. Ich habe noch viel andere Lehrer kennen gelernt, aber Yoshinori war mir nicht nur ein Lehrer, er war mir zugleich Freund.
Er kam als junger Teemeister nach München. Ganz erstaunt war er, dass ich unentwegt fragte „Warum?“. Warum macht man das so oder so, warum ist das so und nicht anders?
„Ihr Deutschen seid komisch, ihr fragt immer: Warum“.
Ein Zenmeister in Kalifornien war ganz erstaunt. „Ich habe hier sehr gute Schüler, aber sie fragen immer: warum. Selbst, wenn ich ihnen den Auftrag geben würde, in den Abgrund zu springen, würden sie sicher noch im Absprung fragen: Warum?“

Sind Wir komisch oder sind die Japaner komisch?
In Japan lernt man, indem man niemals „warum“ fragt. Man schaut, wie es die anderen machen und das ahmt man nach. Das hat seine Ursache noch in der chinesischen Vorstellung, dass der Sohn der Sonne in völliger ritueller Reinheit und in absoluter Harmonie mit dem Kosmos lebt. Er weiß, warum er etwas tut. Dies kann er aber seinen Untertanen nicht erklären, weil diese eben nicht völlig verstehen würden, sie sind nicht in dieser Reinheit.
Darum ahmen sie nach, was er tut. Dieses Nachahmen geht immer eine Gesellschaftsklasse tiefer bis hin zum einfachen Bauern. Der wird niemals verstehen können, warum man etwas tut, er ist aber sicher, sich genauso zu verhalten, wie die nächst Höheren.

Yoshinori kehrte meine Frage sehr häufig um: „Was meinst Du, warum das so ist?“
Ich machte die erstaunliche Entdeckung, dass die Erklärung sehr häufig ganz einfach in der Handlung selbst verborgen liegt. Manchmal ergibt sich die Erklärung für eine ganz bestimmte Bewegung aus der Hamonie von Körper und Atem. Manchmal muss man aber auch die historischen Ursprünge kennen, um zu verstehen.
Yoshinori gewann immer mehr Freude am „Warum“ fragen und wir machten uns auf den Weg, das Warum im Teeweg gemeinsam zu ergründen.

Später bekam ich – auch und gerade von hochrangigen Lehrern auf meine Fragen die Antwort: „Frag Iemoto!“.
Das ist ganz klassisch japanisch gedacht. Iemoto ist der Höchste, er muss wissen warum. Mich interessiert es nicht. Oder noch schlimmer: wenn ich ihn fragen würde und es würde sich herausstellen, dass er es auch nicht weiß, so wäre das ein furchtbarer Gesichtsverlust.
Darum gilt in Japan als oberste Regel: frage niemals deinen Lehrer nach dem Warum, frage höchstens nach dem Wie.

So haben wir oft eine Diskrepanz zwischen Japanern und Europäern: Japaner wissen genau, Wie, aber sie wissen nicht warum. Abendländer dagegen können oft wunderbare Vorträge halten über das Warum, aber sie beherrschen das Wie nicht.
Vielleicht ist es an der Zeit, die Brücke zu schlagen und sowohl das Wie als auch das Warum zu verstehen. Mir jedenfalls geht es so, dass ich das Wie viel besser verstehe und praktiziere, wenn ich weiß warum.
Martin Heidegger sagte: Das Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens.

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6 Antworten zu Warum? !

  1. gs sagt:

    In einem Forum über den Teeweg habe ich den fast verzweifelten Artikel einer jungen (?) Dame gefunden:

    Somewhere in all of these web-sites is a list of rules of behavior
    for lessons, and one of the tenants is, DON’T ASK QUESTIONS. You do
    as you are told, and Sensei will lead you. If you ask a question and
    Sensei doesn’t happen to know the answer, you will cause her to lost
    face, and for Japanese, this is serious. I was told to be patient and
    learn as Sensei presented information.

  2. Aki no hoshi sagt:

    In Memoriam YOSHINORI KAWASAKI SOSOKU GYOTEI

    Das Öl der einzigen Lampe ist verbrannt, und kaum zu ahnen, schimmert
    das Weiß der Blume
    das Wasser im Kessel trocknet aus
    und der Tee verliert seine grüne Farbe
    Die vom Meister verlassene Teeklause erscheint wie ein Traum der
    dreifachen Erleuchtung.
    Der Ostwind kündigt die Morgendämmerung an, und vergeblich fließen
    die Tränen.

  3. Ichi ban deshi sagt:

    Ich treffe ihn. Ich lausche ihm sehr aufmerksam. In mir ist nun die ganze Wahrheit seiner Worte gegenwärtig, und er geht.
    Er sagt mir sehr eindringlich:“Sei dir selbst ein Licht.“
    Die Saat geht auf.
    Vielleicht vermisse ich ihn.
    Er war ein Freund; jemand, den ich sehr liebte.
    Das wirklich Wesentliche aber ist die Saat der Wahrheit, die er gesät hat.
    Durch meine Wachheit, mein Bewusstsein, mein intensives Lauschen wird diese Saat aufgehen.
    Welchen Sinn sollte es sonst haben, dass jemand „es“ hat?
    Wenn er in diesem außergewöhnlichen Zustand der Erleuchtung ist, diese Weite, diese Mitgefühl ausstrahlt, wenn nur es „es“ hat und dann stirbt – welchen Sinn sollte das haben? Welchen?

  4. Haku-un sagt:

    Nichts ist ewig.
    Alles ist vergänglich.
    Das ganze Leben besteht aus Abschieden und Trennungen.
    Eine Reise endet, Träume zerplatzen, Freundschaften zerbrechen,
    Liebe vergeht
    Menschen sterben.
    Die weiße Wolke umhüllt den schwarzen Berg.

  5. Js sagt:

    Ist die Frage „Warum?“ nicht viel zu oft ein Ausweichen? Ein Nicht-Annehmen-Können von dem was gerade ist?
    Ich für meinen Teil, schätze das Forschen nach dem Warum. Es muss aber nicht immer diskutiert werden. Häufig erhielt ich erst Wochen später eine Antwort oder eine wortlose Erklärung auf ein längst vergessenes Warum…
    Das sind dann wundervolle Momente.

  6. gs sagt:

    Zwischen „Warum“ und „Warum“ können Welten liegen.
    Auf die Frage warum mein Lehrer so früh nach so langer Krankheit sterben musste, gibt es keine Antwort. Nur dies: Es ist so!
    Es gibt auch Antworten, für die einfach die Zeit noch nicht reif ist. Auf die Frage zum Beispiel: „Warum sollte ich in einer bestimmten Art und Weise atmen, wenn ich Tee mache?“ gibt es schon Antworten. Aber ich habe immer wieder erlebt, wenn die Antwort zu früh kommt, wird sie nicht verstanden. Darum sagen Lehrer nicht immer alles von Anfang an. Wie oft habe ich hören müssen, nachdem Schüler für sich die Antwort auf das „Warum“ gefunden hatten: Warum sagt einem das Keiner?!“. Dabei hatte ich mir jahrelang den Mund fusselig geredet.
    Der Philosoph Kierkegaard kennt noch ein anderes „Warum?“
    In ‚Entweder Oder‘ beschreibt er einen Menschen, der niemals unmittelbar aus dem Augenblick leben kann, der immer erst fragen muss, warum. Aber bis er die Antwort gefunden hat, ist der Augenblick des Lebens schon vorbei. Kierkegaard schreibt, das sei wie bei jemandem mit einem Holzbein. Immer zieht er den Fuß nach und das „Klapp“, mit dem das Holzbein endlich aufsetzt, kommt immer zu spät.
    Darum: Ganz im Augenblick LEBEN! Aber Leben ist Wiederholung. Immer wieder stehen wir morgens früh auf, immer wieder gehen wir abends schlafen. Immer wieder machen wir in unserem Leben die selben Fehler. Da hilft das Fragen nach dem Warum schon.

    Vielleicht!

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