Hanshan und Shide

Hanshan und Shide

Hanshan war ein merkwürdiger Zeitgenosse. Er lebte – falls es ihn überhaupt gegeben hat und die Gestalt nicht eine literarische Fiktion ist – irgendwann zwischen dem 6. und 9. Jhdt. im China im Tiantai, der klassischen Gegend für Mönche und Einsiedler am Kalten Berg, dem Hanshan.

Die vermutlich unter einem Pseudonym geschriebene Einleitung zur der Gedichtsammlung des Hanshan Shi beginnt mir den Worten:

Niemand weiß, woher Hanshan kam.

In den frühen Gedichten wird das Bild eines Mannes gezeichnet, der aus armen Verhältnissen kam, aber sehr belesen war. Enttäuscht von den Intrigen und Lügen der Welt geht er als Einsiedler in das Tiantai Gebirge.

Ich wohne auf dem Berg,
niemand der mich kennt.
Zwischen weißen Wolken
Bin ich immer allein.

Frei schweift der Blick bis zum Tiantai,
Einsam und hoch über der Schar der Gipfel.
Bambus und Föhren tönen windgeschüttelt,
Mondglitzern in der Brandung ferner Strände.
Zum grünen Saum des Berge schaue ich hinab,
Plaudere mit weißen Wolken über die geheimnisvolle Lehre.
Berge und Flüsse sind meinem wilden Herzen sehr genehm,
Doch tief im Inneren ersehn ich einen WEG – Gefährten.

Der höchste Gipfel des Tiantai ist ebenso einsam und weit über allem wie Hanshan.
Die weißen Wolken, die frei und ungebunden entstehen und vergehen und in völliger Losgelöstheit ziehen, wohin sie wollen, stehen für die Freiheit des Erwachten.
Die Zen-Mönche, die erwacht sind, müssen eine Zeit lang wie Wasser und Wolken als Unsui umherziehen, ohne festen Ort, vollkommen frei von jeder Bindung.
Die Einsamkeit des Hanshan ist keine trostlose Verlassenheit. Hölderlin würde vielleicht sagen, er ist All – Ein, Alles und Eins.
Manchmal besucht Hanshan das Kloster, um dort mit dem Zen – Meister Fenggan zu diskutieren. Dann gesellt sich Shide zu ihm, der ungebildete Koch, der immer den Besen in der Hand hat und lacht. Beide lachen die Mönche aus, die sich in immer neuen Intrigen und Verstrickungen fangen.

Der gelehrte Hanshan wird immer mit der Buchrolle, sein Freund Shide immer mit dem Besen in der Hand dargestellt. Beide zusammen bilden als völlig gegensätzliches Paar das Bild des Erwachten und vom Dao durchdrungenen Menschen. Nicht nur der intellektuelle Hanshan, auch der ungebildete und des Lesen und Schreibens unkundige Shide sind Erwachte. Sie sind die zwei Seiten in jedem von uns.

Ein klein wenig von Hanshan und Shide wohnt sicher in jedem von uns. Hanshan und Shide sind die zwei Seiten der Sehnsucht in uns, frei zu sein von jeder Beschränkung und Zwang und von jeder Fremdbestimmung:

Hanshan ist aus sich selbst Hanshan;
Shide ist aus sich selbst Shide.
Alle die Narren, wie sollten sie das wissen …

Wer uns ansieht, kann uns nicht sehen,
Wer nach uns sucht – wo könnte er suchen!
Was glaubt ihr, woher das kommt?
Ich sage euch: Das ist die Macht des Wu Wei ( des Nicht – Tun)

Weil jeder von uns etwas von Hanshan und Shide in sich trägt, heißt es auch:

Den Mann vom kalten Berg
Wird es für immer geben.
Er ganz allein lebt
Ohne Geburt und Tod.

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Eine Antwort zu Hanshan und Shide

  1. Js sagt:

    Mitunter kann man ja von den „Unwürdigen“ am meisten lernen oder? Sie haben die Praxis, die manch Belesenem fehlt.
    Schön ist, dass wir üben können, diese zwei Seiten in uns zu balancieren.

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